Arbeitnehmer genießen während der Schwangerschaft sowie in der Elternzeit einen zusätzlichen Kündigungsschutz im Vergleich zu „normalen“ Arbeitnehmern. Ihnen kann nur gekündigt werden, wenn vorher die zuständige Behörde ihre Zustimmung zur Kündigung erteilt hat. Diese Zustimmung wird nur dann erteilt, wenn ein sogenannter „besondere Fall“ gegeben ist. Wann ein solcher konkret vorliegt, hatte nunmehr der Verwaltungsgerichtshof München (VGH) zu entscheiden (Urteil v. 05.11.2019 – 12 ZB 19.1222).
Was war geschehen?
Die Arbeitnehmerin war beim Arbeitgeber seit 2012 als Sachbearbeiterin für Lohn- und Gehaltsabrechnungen beschäftigt.
Nach der Geburt ihres Kindes im August 2017 nahm die Arbeitnehmerin für zunächst zwei, später drei Jahre Elternzeit in Anspruch. Im Mai 2017 beantragte der Arbeitgeber unter Berufung auf einen jahrelang fortgesetzten Arbeitszeitbetrug der Arbeitnehmerin die nach § 17 Abs. 2 MuSchG bzw. nach § 18 Abs. 1 Satz 4 BEEG erforderliche behördliche Zustimmung zu der geplanten Kündigung.
Die Arbeitnehmerin hatte – unstreitig – in Kenntnis ihrer Vorgesetzten über mehrere Jahre ihre Arbeit im Büro um 7:30 Uhr statt um 8:00 Uhr aufgenommen und auf ihren Stundenzetteln vermerkt. Dies sei, so der Arbeitgeber ohne Anlass, Notwendigkeit und Nutzen geschehen, wodurch sich – so der Arbeitgeber – die Arbeitnehmerin in erheblichem Umfang zu Unrecht vergütete Freizeit durch Urlaub und Überstundenausgleich erschlichen habe.
Die Zustimmung zur Kündigung wurde im Oktober 2017 versagt, woraufhin der Arbeitgeber beim Verwaltungsreicht Regensburg Klage auf Erteilung der Zustimmung erhob. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen wandte sich der Arbeitgeber mit seiner Berufung an den VGH.
Die Entscheidung
Der VGH hat ebenfalls zugunsten der Arbeitnehmerin entschieden.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs liegt ein „besonderer Fall“, der nach § 18 Abs. 1 Satz 4 BEEG eine Kündigung während der Elternzeit rechtfertigen kann, nicht vor.
Insbesondere wies das Gericht darauf hin, dass der „besondere Fall“ i.S.d. § 18 Abs. 1 Satz 4 BEEG nicht mit dem „wichtigen Grund“ i.S.d. §§ 626 Abs. 1 BGB für eine fristlose Kündigung deckungsgleich sei, sondern höhere Anforderungen stelle. Diese Anforderungen habe der Arbeitgeber vorliegend nicht erfüllt.
Es liegen nach Ansicht des VGH keine durchgreifenden Anhaltspunkte für einen vorsätzlichen Arbeitszeitbetrug der Arbeitnehmerin vor. Dagegen spreche das Ausweisen des Arbeitszeitbeginns auf den Stundenzetteln, die unbestrittene Erbringung der auf den Stundenzetteln vermerkten Arbeitsstunden, die Kenntnis der Vorgesetzten vom Arbeitsbeginn, die fehlende Plausibilität der behaupteten Nutzlosigkeit der Arbeitsleistung zwischen 7:30 Uhr und 8:00 Uhr und die fehlende Strafanzeige bzw. strafrechtliche Verfolgung des Verhaltens der Arbeitnehmerin. Ein bloßer Straftatverdacht reiche in der Regel für einen „besonderen Fall“ nicht aus.
Der Praxistipp
Auch wenn das Gericht hier darauf hinweist, dass für das Vorliegen eines besonderen Falles höhere Anforderungen gelten als bei einer fristlosen Kündigung, so liegt der Schwerpunkt der Entscheidung doch darauf, dass tatsächlich ein von Arbeitgeberseite behaupteter Arbeitszeitbetrug nicht gegeben war. In solch einer Situation wäre auch vor dem Arbeitsgericht (mit oder ohne Sonderkündigungsschutz) eine fristlose Kündigung sicherlich erfolglos gewesen.
Hätte die Arbeitnehmerin auf den Stundenzettel einen Arbeitsbeginn um 07:30 angegeben, hätte die Arbeit tatsächlich jedoch jeweils erst um 08:00 Uhr aufgenommen, so wäre die Lage vollkommen anders gewesen. In diesem Fall hätte ein fortgesetzter Arbeitszeitbetrug vorgelegen und es wäre sowohl ein „wichtiger Grund“ als auch ein besonderer Fall gegeben gewesen.
Insofern sei noch einmal deutlich gemacht, dass die Kündigung einer Schwangeren bzw. eines Arbeitnehmers in Elternzeit bei schweren Verstößen durchaus möglich ist. Aufgrund der hohen Hürden kann aber nur dringend dazu geraten werden, sich frühzeitig durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht Hamburg beraten zu lassen