Bereits im Jahr 2019 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Mitgliedsländer der EU aufgefordert, ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ einzuführen, mit dem die vom jeden Arbeitnehmer geleistete Arbeitszeit gemessen werden kann (Urteil v. 14.05.2019 – C-55/18). Diese Verpflichtung ergebe sich, so der EuGH aus der Grundrechtecharta sowie aus der europäischen Arbeitszeitrichtlinie.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich in einer vielbeachteten Entscheidung im September 2022 dieser Auffassung angeschlossen und entschieden, dass Arbeitgeber bereits jetzt verpflichtet seien die tägliche Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer zu erfassen. Dies ergebe sich laut BAG aus einer europarechtskonformen Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG.
Wie das BAG in die Regelung des Arbeitsschutzgesetzes, nach der der Arbeitgeber „für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen habe“ um die Ziele des Arbeitsschutzgesetzes umzusetzen hineingelesen hat, dass Arbeitgeber verpflichtet seien die Arbeitszeit aufzuzeichnen, bleibt sicherlich sein Geheimnis. Normal Sterbliche wie ich können diese Verpflichtung nicht erkennen.
Einig sind sich jedoch alle zumindest darin, dass es nach wie vor in Deutschland keine ausdrückliche und konkrete gesetzliche Regelung gibt, die Arbeitgeber verpflichtet die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter aufzuzeichnen. Das wird sich jetzt ändern!
Mit etwas Verspätung hat der Bundesarbeitsminister in der letzten Woche einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt. Was sind die wesentliche Inhalte?
1. Was muss ich tun?
Der Gesetzesentwurf sieht hier vor, dass jeder Arbeitgeber verpflichtet ist „Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch aufzuzeichnen“.
Zum einen wird hier ganz klar die elektronische Zeiterfassung festgelegt (Ausnahmen: siehe Nr. 5), die analoge Zeiterfassung ist also nicht zulässig. Des weiteren reicht aber die Erfassung von Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit aus. Weitere Daten müssen also nicht erfasst werden.
Schließlich sei darauf hingewiesen, dass der Gesetzesentwurf die tagesaktuelle Erfassung der Arbeitszeit verlangt. Es ist also grundsätzlich nicht möglich die Arbeitszeit einer Woche z.B. erst am Ende der Woche zu erfassen.
2. Wie lange aufbewahren?
Die Daten aus der Zeiterfassung müssen gespeichert werden und bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses, mindestens jedoch für 2 Jahre aufbewahrt werden.
Jeder Arbeitnehmer hat ein Recht auf Information über die aufgezeichnete Arbeitszeit und ihm steht auch ein Recht auf Aushändigung einer Kopie der Arbeitszeitaufzeichnungen zu.
3. Muss ich es selber tun?
Der Grundsatz des Gesetzesentwurfs ist, dass der Arbeitgeber die Arbeitszeit erfasst. Es ist allerdings zulässig diese Pflicht zu delegieren (z.B. auf Vorgesetzte bzw. auf den Arbeitnehmer selbst).
Auch wenn der Arbeitgeber die Arbeitszeiterfassung delegiert, ist er jedoch weiter verpflichtet sicherzustellen, dass die Aufzeichnungspflicht bezüglich der Arbeitszeit ordnungsgemäß umgesetzt wird.
Darüber hinaus wird der Arbeitgeber weiterhin verpflichtet sein, sicherzustellen, dass nicht gegen die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes verstoßen wird (z.B. Höchstarbeitszeit, Ruhezeiten, Pausenzeiten). Insofern müssen die konkreten erfassten Arbeitszeiten regelmäßig überprüft werden. Bei Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz muss der Arbeitgeber dann geeignete Maßnahmen ergreifen um zukünftige Verstöße zu verhindern.
4. Ist die Vertrauensarbeitszeit tot?
Eine Vertrauensarbeitszeit in der Form, dass Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit nicht festgelegt sondern vom Arbeitnehmenden bestimmt werden, ist weiterhin möglich; die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung steht dem nicht entgegen.
Die Vertrauensarbeitszeit in der Form, dass unter Verstoß gegen die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes „ohne Ende“ gearbeitet wird, gehört jedoch der Vergangenheit an. Dies vor allem deswegen, dass aufgrund der Aufzeichnungspflicht für die Aufsichtsbehörde sehr genau ersichtlich ist, wann und in welchem Umfang ggf. gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen wurde.
5. Gibt es Ausnahmen?
In Tarifverträgen sowie in Betriebsvereinbarungen (sofern solche in Tarifverträgen zugelassen wurden) kann zum einen festgelegt werden, dass die Arbeitszeiterfassung nicht elektronisch erfolgen muss, zum anderen, dass die Arbeitszeit nicht am selben Tag aufgezeichnet wird. Für diesen Fall muss die Aufzeichnung spätestens bis zum siebten Tag nach dem jeweiligen Arbeitstag erfolgen.
Weitere Ausnahmen gibt es für kleinere und mittlerer Unternehmen. Während die Übergangsfrist für die elektronische Aufzeichnung für alle Unternehmen 1 Jahr beträgt (in diesem Zeitraum muss aber analog erfasst werden!), gelten für Arbeitgeber mit weniger als 250 Arbeitnehmenden eine Übergangsfrist von 2 Jahren, für Arbeitgeber mit weniger als 50 Arbeitnehmenden eine Übergangsfrist von 5 Jahren. Arbeitgeber mit bis zu 10 Arbeitnehmenden müssen gar keine elektronische Aufzeichnungsmöglichkeit bereitstellen. Eine analoge Aufzeichnung ist aber dennoch erforderlich.
6. Wann geht’s los?
Derzeit liegt der Gesetzesentwurf bei den Interessenverbänden, die vom Arbeitsministerium zur Stellungnahme aufgefordert wurden. Sobald dies erfolgt ist, werden ggf. Änderungen am Gesetzesentwurf vorgenommen und dieser dann von der Bundesregierung beschlossen. Darauf hin wird der Entwurf dann in den Bundestag eingebracht werden. Wie lange es bis zur Verabschiedung des finalen Gesetzes dauert, kann derzeit nicht gesagt werden. Wir halten Sie auf dem Laufenden!
Bei Fragen zur Arbeitszeiterfassung kommen Sie gerne auf mich zu.
7. Und sonst so?
Zur Zeit passiert in der Gesetzgebung eine Menge. In unserem Podcast „Arbeitsrecht für Arbeitgeber“ sprechen wir jede Woche unter anderen über neue Gesetzesvorhaben wie das Familienstartzeitgesetz sowie die europäische Entgelttransparenzrichtlinie, welche deutlich über das deutsche Entgelttransparenzgesetz hinausgeht.