Wir hatten Ihnen im April letzten Jahres ein Urteil des LAG Niedersachsen vom 07.11.2017 (10 Sa 1159/16, zitiert nach juris) vorgestellt, in welchem sich das Gericht mit der Frage zu beschäftigen hatte, inwiefern ein Arbeitnehmer einen außerhalb der Geschäftsräume des Arbeitgebers geschlossenen Aufhebungsvertrag gem. § 312g Abs. 1 BGB widerrufen kann.
Nunmehr hat das BAG mit Urteil vom 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18, Pressemitteilung des BAG Nr. 6/19, über die Revision der klagenden Arbeitnehmerin entschieden. Weshalb das Urteil des BAG nur teilweise für Rechtssicherheit sorgt und was für die Personalpraxis wichtig ist, erläutern wir Ihnen im folgenden Beitrag.

Der Hintergrund

§ 312g Abs. 1 BGB gewährt dem Verbraucher bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB.
Nach § 312b Abs. 1 Ziff. 1. BGB sind außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge solche, die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist.

Der Fall

Die Klägerin war bei der Beklagten als Reinigungskraft beschäftigt. Sie schloss in ihrer Wohnung mit dem Lebensgefährten der Beklagten einen Aufhebungsvertrag, der die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Zahlung einer Abfindung vorsieht. Anlass und Ablauf der Vertragsverhandlungen sind umstritten. Nach Darstellung der Klägerin war sie am Tag des Vertragsschlusses erkrankt. Sie hat den Aufhebungsvertrag wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und widerrechtlicher Drohung angefochten und hilfsweise widerrufen. Mit ihrer Klage wendet sie sich ua. gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch den Aufhebungsvertrag.

Der Verfahrensgang

Das Arbeitsgericht Celle hat die Klage abgewiesen und entschieden, dass der Aufhebungsvertrag nicht durch Widerruf beseitigt werden konnte. Auch nach der gesetzlichen Neuregelung aus dem Jahre 2014 widerspreche es der Gesetzessystematik, §§ 312 ff. BGB auf arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge anzuwenden. Dagegen spreche schon die im Falle fehlender Widerrufsbelehrung über ein Jahr lang laufende Widerrufsfrist; sie lasse sich nicht mit dem allgemeinen Beschleunigungsinteresse arbeitsrechtlicher Beendigungsstreitigkeiten vereinbaren.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung zum LAG Niedersachsen eingelegt, die in der Sache keinen Erfolg hatte. Arbeitnehmern stehe – so das LAG Niedersachsen – kein Widerrufsrecht nach § 312g BGB zu. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage ließ das LAG Niedersachen die Revision zu.

Das Urteil des BAG

Das BAG stellt zunächst fest, dass das LAG Niedersachen rechtsfehlerfrei erkannt habe, dass dem Vortrag der Klägerin kein Anfechtungsgrund entnommen werden könne und der Widerruf eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags auf gesetzlicher Grundlage nicht möglich sei. Der Gesetzgeber habe zwar in § 312 Abs. 1 iVm. § 312g BGB Verbrauchern bei Verträgen, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen worden sind, ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB eingeräumt. Auch Arbeitnehmer seien Verbraucher. Im Gesetzgebungsverfahren sei jedoch der Wille des Gesetzgebers deutlich geworden, arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge nicht in den Anwendungsbereich der §§ 312 ff. BGB einzubeziehen.
Gleichwohl hat das BAG die Revision nicht als unbegründet zurückgewiesen, sondern das Urteil des LAG Niedersachsen aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG Niedersachsen zurückverwiesen.

Das LAG habe nicht geprüft, ob das Gebot fairen Verhandelns vor Abschluss des Aufhebungsvertrags beachtet wurde. Dieses Gebot stelle eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht dar. Sie werde verletzt, wenn eine Seite eine psychische Drucksituation schaffe, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags erheblich erschwert. Dies könnte hier insbesondere dann der Fall sein, wenn eine krankheitsbedingte Schwäche der Klägerin bewusst ausgenutzt worden wäre. Die Beklagte hätte dann Schadensersatz zu leisten. Sie müsste den Zustand herstellen, der ohne die Pflichtverletzung bestünde (sog. Naturalrestitution, § 249 Abs. 1 BGB). Die Klägerin wäre dann so zu stellen, als hätte sie den Aufhebungsvertrag nicht geschlossen. Dies führte zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Das LAG wird die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrags daher erneut zu beurteilen haben.

Das Wichtigste

Eine Arbeitnehmerin kann einen Vertrag, durch den das Arbeitsverhältnis beendet wird (Aufhebungsvertrag), auch dann nicht widerrufen, wenn er in ihrer Privatwohnung abgeschlossen wurde.
Ein Aufhebungsvertrag kann jedoch unwirksam sein, falls er unter Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen ist.
Aus Arbeitgebersicht uneingeschränkt zu begrüßen ist, dass das BAG einer vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Ausweitung des Widerrufsrechts für Verbraucher bei besonderen Vertriebsformen auf den arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag eine klare Absage erteilt.
Wenig Rechtssicherheit für die Personalpraxis geben allerdings die weiteren Ausführungen des BAG. Auf einen Schadensersatzanspruch aufgrund eines Verstoßes gegen die arbeitsvertragliche Nebenpflicht des fairen Verhandelns stellt das BAG – soweit ersichtlich – erstmalig ab. Aus der Pressemitteilung des BAG ist insbesondere nicht zu entnehmen, was das BAG konkret unter einer (unzulässigen) psychischen Drucksituation versteht. Eine für die Praxis taugliche Abgrenzung wäre hier von erheblicher Bedeutung. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass es in Aufhebungsvertragsverhandlungen sehr häufig zu psychischen Drucksituationen auf Arbeitnehmerseite kommt, die bereits durch das arbeitgeberseitige Ansinnen, das Arbeitsverhältnis nicht fortsetzen zu wollen, hervorgerufen werden. Wir werden Sie hierüber nach Veröffentlichung der Entscheidungsgründe informieren.

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