Wir berichten heute über eine aktuelle, praxisrelevante Entscheidung des LAG Köln (Urteil vom 30.06.2021, 11 Ca 1172/20) zu einem Entschädigungsverfahren nach dem AGG.
Die Entscheidung zeigt aus unserer Sicht leider weit verbreitete arbeitgeberseitige Fehler im Rahmen von Stellenausschreibungen auf und gibt wichtige Hinweise für Arbeitgeber und Personalabteilungen, worauf im Rahmen von Stellenausschreibungen besonders geachtet werden sollte.
Was war passiert?
Der 1965 geborene schwerbehinderte Kläger ist promovierter Hochschulabsolvent im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften. Nach seiner Promotion im Jahre 1998 war er als Angestellter und Selbständiger u. a. in den Bereichen Consulting, Coaching und Projektbetreuung bzw. Projektleitung tätig, seit dem Jahre 2007 überwiegend in der Informationstechnik. Seit dem Mai 2019 ist der Kläger arbeitssuchend.
Die Beklagte – ein Unternehmen der IT-Dienstleistungsbranche mit über 4.000 Mitarbeitern – hat am 09.08.2019 eine Stellenausschreibung für die Position „(Senior) Agile Coach/Agilist (m/w/d)“ veröffentlicht.
Hinsichtlich der ausgeschriebenen Stelle hat die Beklagte der Bundesagentur für Arbeit (BA) keinen Vermittlungsauftrag erteilt, auch bestand kein Kooperationsvertrag mit der BA. Die Stellenanzeige gelangte über einen beauftragten privaten Dienstleister automatisch an die Online-Jobbörse der BA. Dort sind die Stellen unter Angabe des Titels des Stellenangebots, Veröffentlichungsdatum, Arbeitgeber, Arbeitsort und Entfernung zum Arbeitsort hinterlegt und mit einem Link versehen, der es ermöglicht, die konkrete Stellenanzeige abzurufen.
Auf die Stellenausschreibung vom 09.08.2019 hat sich der Kläger mit E-Mail vom 14.08.2019 unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung und unter Beifügung von Lebenslauf, Arbeitszeugnissen und Qualifikationsnachweisen beworben.
Auf Nachfrage des Klägers teilte die Beklagte dem Kläger im Rahmen zweier E-Mails vom 23.08. und 26.08.2019 mit, dass sein Qualifikationsprofil nicht hinreichend mit dem Anforderungsprofil der zu besetzenden Position übereinstimme.
Mit Schreiben vom 19.10.2019 hat der Kläger u. a. geltend gemacht, dass er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden sei und die Zahlung einer Entschädigung von zwei Monatsgehältern (€ 10.000,00) zur Vermeidung eines gerichtlichen Verfahrens angeboten. Nachdem die Beklagte ohne Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung lediglich eine Entschädigung von € 2.500,00 angeboten hatte, hat der Kläger eine Entschädigungsklage beim Arbeitsgericht Aachen eingereicht.
Das ArbG Aachen hat die Klage abgewiesen und entscheidend darauf abgestellt, dass die BA von der Stellenanzeige durch Einstellen in die Online-Jobbörse Kenntnis erlangt habe, wenn auch kein betreuter Vermittlungsauftrag erteilt worden sei.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung zum LAG Köln eingelegt.
Die Entscheidung
Das LAG Köln hat der Berufung stattgegeben, das Urteil des ArbG Aachen abgeändert und die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von € 7.500,00 verurteilt.
Die Beklagte habe weder gesondert geprüft, ob die ausgeschriebene Stelle mit einer schwerbehinderten Person besetzt werden konnte, noch habe sie frühzeitig in geeigneter Art und Weise Verbindung mit der BA aufgenommen und den freien Arbeitsplatz gemeldet (§ 164 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 SGB IX).
Die Meldepflicht solle gewährleisten, dass der Arbeitgeber von der BA Kenntnis über geeignete schwerbehinderte Bewerber für die freie Stelle erhält. Damit solle möglichst vielen geeigneten schwerbehinderten Menschen die Möglichkeit gegeben werden, Arbeit zu finden.
Die Verbindungsaufnahme mit der BA müsse sach- und zweckgerecht erfolgen. Es bedürfe der Angaben der Daten, die für einen qualifizierten Vermittlungsvorschlag seitens der BA erforderlich seien, wie etwa die Mitteilung der konkreten Stellenbeschreibung oder des Anforderungsprofils. Die BA oder der Integrationsfachdienst seien ihrerseits nach § 164 Abs. 1 Satz 3 SGB IX verpflichtet, auf der Basis des Anforderungsprofils bzw. der Stellenbeschreibung geeignete Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten.
Als Arbeitgeber können Sie hierzu entweder Ihre konkrete Betreuungsperson bei der BA informieren oder das Online-Portal der BA nutzen. Die bloße Weiterleitung einer Stellenausschreibung an die Online-Jobbörse der BA, ohne gesonderten Vermittlungsauftrag, sei jedoch unzureichend, da hierdurch nicht sichergestellt werde, dass die zuständige Vermittlungsperson der BA in geeigneter Art und Weise Kenntnis von dem freien Arbeitsplatz erlange und in die Lage versetzt werde, einen sachgerechten Vermittlungsvorschlag zu unterbreiten.
Da die Beklagte weder ihre Prüfpflicht noch ihre Mitteilungspflicht ordnungsgemäß erfüllt habe, sei die Vermutung einer Benachteiligung des Klägers wegen einer Behinderung gegeben. Diese Vermutung habe die Beklagte im Gerichtsverfahren nicht widerlegen können.
Das Wichtigste
Wenn Sie als privater Arbeitgeber Ihrer Prüf- und Melde- bzw. Kontaktaufnahmepflicht gem. § 164 Absatz 1 Sätze 1 und 2 SGB IX nicht nachgekommen sind, folgt hieraus die (in der Praxis häufig nicht zu widerlegende) Vermutung, dass Sie abgelehnte Bewerber wegen der Schwerbehinderung benachteiligt haben. Hieraus folgt wiederum die Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung gem. § 15 Absatz 2 AGG.
Die Veröffentlichung eines Stellenangebots über die Jobbörse der Bundesagentur reicht allein nicht aus, um der Prüf- und Meldepflicht gem. § 164 Absatz 1 Sätze 1 und 2 SGB IX nachzukommen.
Praxistipps
Als Arbeitgeber müssen Sie gemäß § 164 Abs. 1 S. 1 SGB IX stets prüfen, ob der freie Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann. Um dies tun zu können, muss bereits zuvor eine Arbeitsplatzbeschreibung erstellt werden.
Diese sollte beinhalten:
• Anforderungen des Arbeitsplatzes
• Tätigkeit mit Konzentrations-, Umstellungs- und Anpassungsvermögen, mit Verantwortung für Personen/Maschinen, Publikumsverkehr, Überwachung / Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge?
• Ist Tätigkeit mit ständigem Gehen / Stehen / Sitzen verbunden oder wechseln die Körperhaltungen? Gibt es eine Zwangshaltung?
• Gibt es besondere Belastungen? Lärm, Nässe, Kälte, Erschütterungen, schwankende Temperaturen, Allergenen, Staub, erhöhte Unfallgefahr?
• Schichtarbeit oder häufig wechselnde Arbeitszeiten?
• Tätigkeit mit Heben oder Tragen verbunden?
• Handelt es sich um eine körperlich leichte oder schwere Tätigkeit?
• Müssen die Hände in besonderer Weise gebraucht werden, ist häufiges Bücken erforderlich oder muss in der Höhe gearbeitet werden?
• Berufliche Qualifikation?
Sofern die Prüfung ergibt, dass der freie Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann, müssen Sie gemäß § 164 Abs. 1 S. 2 SGB IX bei der BA explizit nachfragen, ob diese schwerbehinderte Bewerber vermitteln kann.
Diese Anfrage sollte im Vorfeld jeder Stellenbesetzung bei der BA, d.h. möglichst ein bis zwei Wochen vor der internen oder externen Ausschreibung erfolgen. Dabei reicht ein einfacher Anruf nicht aus. Der Bundesagentur für Arbeit muss die Stellenausschreibung vorliegen.