Kündigungsstreitigkeiten können vor Gericht, insbesondere wenn sie über mehrere Instanzen geführt werden, viele Monate und zum Teil Jahre andauern, sodass auf Arbeitgeberseite schnell ein finanzielles Risiko in fünf- bis sechsstelliger Höhe entstehen kann.
Stellt sich eine arbeitgeberseitige Kündigung nachträglich als rechtsunwirksam heraus, sind Sie als Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, dem Arbeitnehmer unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges die Vergütung für den Zeitraum nachzuzahlen, den Sie ihn aufgrund der unwirksamen Kündigung nicht beschäftigt haben.
Wir stellen Ihnen ein aktuelles Gerichtsurteil vor, in dem es um eine Annahmeverzugslohnforderung für einen Zeitraum von gut 11 Monaten geht, beleuchten die rechtlichen Hintergründe zum Thema Annahmeverzug und zeigen auf, wie Sie sich hiergegen als Arbeitgeber zur Wehr setzen können.
Was ist eigentlich Annahmeverzug?
Annahmeverzug liegt allgemein vor, wenn der Gläubiger die ihm angebotene Leistung nicht rechtzeitig zum Leistungszeitpunkt annimmt.
Was ist Annahmeverzugslohn?
§ 615 BGB regelt, dass Sie als Arbeitgeber – sofern Sie sich im Annahmeverzug befinden – auch die nicht vom Arbeitnehmer geleisteten Dienste vergüten müssen (Annahmeverzugslohn), ohne dass der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist.
§ 615 BGB stellt somit eine Ausnahme vom Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ dar.
Besonderheiten des Annahmeverzugs im Arbeitsrecht
Bei einer arbeitgeberseitigen Kündigung ist ein arbeitnehmerseitiges Angebot der Arbeitsleistung nach Ablauf der Kündigungsfrist grundsätzlich überflüssig.
Im Ausspruch der arbeitgeberseitigen Kündigung liegt nach der ständigen Rechtsprechung des BAG grundsätzlich die Weigerung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.
Wie können Sie sich als Arbeitgeber effektiv gegen die Geltendmachung von Annahmeverzugslohn zur Wehr setzen?
Der Arbeitnehmer muss sich auf das Arbeitsentgelt, das Sie ihm als Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schulden, neben bezogenen Sozialleistungen dasjenige anrechnen lassen, was er durch anderweitige Arbeit verdient hat (§ 11 Nr. 1 KSchG) und was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen (§ 11 Nr. 2 KSchG).
Wie erfahren Sie als Arbeitgeber davon, ob ein Arbeitnehmer anderweitigen Verdienst erzielt oder böswillig unterlassen hat?
Das BAG hat mit Urteil vom 27.05.2020 (5 AZR 387/19) entschieden, dass Sie als Arbeitgeber gegen den Arbeitnehmer, der Vergütung wegen Annahmeverzugs fordert, u.a. einen Auskunftsanspruch über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge haben.
Die Kenntnis dieses Urteils ist für sämtliche auf Arbeitgeberseite tätigen Personen von grundlegender Bedeutung.
Der Auskunftsanspruch und dessen Geltendmachung gehören zum Rüstzeug jedes Personalers.
Das aktuelle Urteil
Ein aktuelles Urteil des ArbG Stuttgart (Urteil vom 23.02.2023, 25 Ca 256/22) enthält auf den ersten Blick „nur“ einen Anwendungsfall der vorbezeichneten BAG-Rechtsprechung.
Auf den zweiten Blick enthält die Entscheidung des ArbG Stuttgart jedoch eine Verschärfung des o.g. BAG Urteils, die für Sie als Arbeitgeber von großem Nutzen sein kann.
Der Fall
Der zugrunde liegende Fall ist schnell erzählt:
Die beklagte Arbeitgeberin hatte den Arbeitnehmer wiederholt fristlos und fristgemäß gekündigt. Der Kläger war seit Zugang der ersten Kündigung vom Anfang Mai 2017 arbeitslos. Die Kündigungsschutzklagen des Arbeitnehmers waren jeweils erfolgreich.
Der Kläger macht mit der vorliegenden Klage Annahmverzugslohnansprüche für den Zeitraum von Mai 2017 bis März 2018 geltend.
Die Beklagte forderte den Kläger im Rahmen des vorliegenden Verfahrens entsprechend der geschilderten Rechtsprechung des BAG auf, Auskunft zu geben, über die Höhe der seit Mai 2017 erzielten anderweitigen Einkünfte und über die seit Mai 2017 unterbreiteten Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit.
Die Entscheidung
Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen, da der Kläger auf den von Arbeitgeberseite geltend gemachten Auskunftsanspruch nichts erwidert bzw. nichts vorgetragen hatte.
Was ist neu?
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hätte die vorliegende Zahlungsklage im Hinblick auf die fehlende Auskunftserteilung als „zur Zeit“ unbegründet abgewiesen werden müssen.
Der Arbeitnehmer hätte also die Möglichkeit erhalten, seine Zahlungsklage bei Erfüllung des Auskunftsanspruches noch einmal einzureichen und erfolgreich durchzusetzen.
Das ArbG Stuttgart geht nunmehr einen anderen Weg und weist die Klage als „endgültig“ bzw. „insgesamt“ unbegründet ab, da die geltend gemachte Annahmeverzugsvergütung aufgrund der fehlenden Auskunft nicht berechenbar sei, da der Arbeitnehmer seiner (sekundären) Darlegungslast im Rahmen der Einwendung nach § 11 Nr. 2 KSchG nicht nachgekommen sei.
Das Wichtigste
1. Macht der Arbeitnehmer Annahmeverzugslohn geltend, trifft ihn eine sekundäre Darlegungslast. Da der im Hinblick auf die Einwendungen des § 11 Nr. 1 und Nr. 2 KSchG primär darlegungsbelastete Arbeitgeber keine Kenntnis von anrechenbaren Einkünften oder böswillig unterlassenem Zwischenverdienst hat, trifft den Arbeitnehmer die prozessuale Pflicht, sich auf Verlangen des Arbeitgebers zu diesen Punkten zu erklären. Hierzu gehört es auch, dass der Arbeitnehmer zu etwaigen Vermittlungsvorschlägen der Bundesagentur für Arbeit vorzutragen hat.
2. Kommt der Arbeitnehmer dieser sekundären Darlegungslast nicht nach, ist die Klage nicht nur als „zur Zeit“ unbegründet, sondern als „insgesamt“ unbegründet abzuweisen, da sich der Arbeitnehmer in voller Höhe einen hypothetischen Erwerb gemäß § 11 Nr. 2 KSchG anrechnen lassen muss.
Weshalb ist das wichtig?
Die vorstehende Entscheidung des ArbG Stuttgart stellt einen weiteren Baustein im Rahmen der Abwehr von Annahmeverzugslohnansprüchen dar.
Insbesondere in Vergleichsverhandlungen kann die vorgestellte Entscheidung des ArbG Stuttgart genutzt werden, da Arbeitnehmern, die ihre Auskunftspflichten nicht erfüllen, hiernach die endgültige und nicht mehr nur die vorläufige Abweisung von klageweise geltend gemachten Annahmeverzugslohnansprüchen droht.
Insgesamt ist in der Rechtsprechung bei Entscheidungen zum Thema Annahmeverzug – möglicherweise auch im Hinblick auf den herrschenden Arbeits- und Fachkräftemangel – eine arbeitgeberfreundlichere Tendenz zu erkennen.