Ein Mitarbeiter macht Raucherpausen und stempelt sich hierfür nicht aus. Eine in der Praxis immer wieder in den unterschiedlichsten Ausprägungen auftretende Konstellation.
Wir wollen Ihnen heute genau einen solchen Fall nicht dokumentierter Raucherpausen vorstellen, über den das LAG Thüringen, Urteil vom 03.05.2022, 1 Sa 18/21, zitiert nach juris, jüngst zu entscheiden hatte.
Im Fokus steht auch hier naturgemäß die Frage, ob es sich insofern um einen Arbeitszeitbetrug handelt, der den Ausspruch einer Kündigung rechtfertigt.
Was war passiert?
Die Klägerin war seit 1986 im öffentlichen Dienst und hierbei zuletzt als Arbeitsvermittlerin im Jobcenter tätig.
Anfang Januar 2019 stellte die Vorgesetzte der Klägerin Unregelmäßigkeiten bei den Arbeitszeitbuchungen der Klägerin fest. Die Feststellungen betrafen insgesamt 10 Raucherpausen im Zeitraum vom 09.01. bis 16.01.2019 und 18 Raucherpausen vom 17.01. bis 21.01.2019. Ausweislich des Buchungsjournals der Arbeitszeiterfassung hat die Klägerin keine der o.g. Raucherpausen zwischen dem 09.01. und 21.01.2019, sondern jeweils lediglich Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit gebucht.
Mit Schreiben vom 22.01.2019 forderte die Beklagte die Klägerin auf, zu den unterlassenen Arbeitszeitbuchungen Stellung zu nehmen. Es entstehe der Eindruck der Arbeitszeitmanipulation. Schließlich habe die Klägerin mit ihrer Unterschrift bestätigt, dass sie am 26.02.2018 durch ihre Teamleiterin zur Erfassung der Arbeitszeit bei Dienstreisen und der Buchung von Pausenzeiten belehrt worden sei. Die Pflicht zur Buchung von Raucherpausen ergebe sich ferner aus § 9 Abs. 3 der Dienstvereinbarung vom 18.01.2012.
Die Klägerin führte hierzu aus, dass die genannten Zeiten zwischen dem 09.01. und 16.01.2019 richtig sein könnten. Als Raucherin benötige sie die entsprechenden Zigarettenpausen. Auch die Zeiten vom 17.01. bis 21.01.2019 wurden nicht in Abrede gestellt. Wörtlich schrieb die Klägerin: „Ich möchte ausdrücklich betonen, dass es mir sehr leidtut, dass ein solcher nachlässiger ‚Schlendrian‘ bei mir eingerissen ist. Ich habe Ihre Mitteilung deshalb sehr ernst genommen und seither jede einzelne Raucherpause ganz genau und minutiös aufgezeichnet. Ein derartiges Verhalten wird sich mit Sicherheit nicht mehr wiederholen, hiervon können Sie ausgehen.“
Die Beklagte sprach daraufhin eine fristlose Kündigung sowie eine hilfsweise fristgerechte Kündigung zum 30.09.2019 aus.
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage bezüglich der außerordentlichen, fristlosen Kündigung stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die außerordentliche Kündigung sei wegen der von der Klägerin gezeigten Einsicht in ihre Verfehlungen deshalb unwirksam, weil es der Beklagten nicht unzumutbar gewesen sei, die Kündigungsfrist einzuhalten.
Das Arbeitsverhältnis sei jedoch durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung beendet worden, weshalb die Klage im Übrigen abgewiesen worden ist.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.
Die Entscheidung
Das LAG Thüringen hat die Berufung der Klägerin als unbegründet abgewiesen.
Die ordentliche Kündigung sei als verhaltensbedingte Kündigung wegen beharrlicher Verstöße gegen Dokumentationspflichten und daraus folgenden Arbeitszeitbetrugs gerechtfertigt.
Die Klägerin habe vorsätzlich zu den genannten Zeiten im Januar 2019 Arbeitszeitbuchungen mittels Zeiterfassungskarte entgegen der sie treffenden Pflicht unterlassen. Durch die unterlassenen Buchungen seien täglich bis zu sieben Raucherpausen als bezahlte Arbeitszeit erfasst worden. Das Unterlassen der Buchung sei deshalb rechtserheblich, weil für die Klägerin eine Dokumentationspflicht aus der Dienstvereinbarung zur Flexibilisierung der Arbeitszeit vom 18.01.2012 bestand. In § 9 Abs. 3 der Dienstvereinbarung ist niedergelegt, dass die Arbeitszeit bei jedem Betreten oder Verlassen der Dienstgebäude zu erfassen sei und dies auch für das Erfassen der Pausen inklusive Raucherpausen gelte.
Erfolglos verweise die Klägerin darauf, die Beklagte messe mit zweierlei Maß. Zwar führt die Klägerin an, nur sie habe eine Kündigung erhalten, obwohl sie die Raucherpausen bekanntermaßen stets in einer Gruppe gemacht habe. Aus dem Vortrag der Klägerin sei jedoch schon nicht erkennbar, dass die anderen Mitarbeiter die Raucherpausen nicht erfasst und daher gleichgelagerte und auch nach der Anzahl vergleichbare Pflichtverletzungen begangen hätten.
Auch der Hinweis der Klägerin auf ihre Nikotinsucht verfange nicht. Die Nikotinsucht könne allenfalls die Anzahl der Raucherpausen erklären. Wegen der Inanspruchnahme der Raucherpausen an sich werde der Klägerin jedoch gar kein Vorwurf gemacht. Der Vorwurf beziehe sich ausschließlich auf die im Rahmen der Durchführung von Raucherpausen verletzten Pflichten zur ordnungsgemäßen Dokumentation der Pausenzeiten. Dass die Klägerin durch ihre Nikotinsucht daran gehindert gewesen wäre, ordnungsgemäß ihre Arbeitszeit zu erfassen, trägt die Klägerin selbst nicht vor.
Wegen der Schwere der Pflichtverletzung stelle sich die ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung auch nach der durchzuführenden Interessenabwägung als sozial gerechtfertigt dar. Zwar sei die Klägerin bereits seit über 30 Jahren bei der Beklagten beschäftigt. Zu beachten sei zulasten der Klägerin jedoch, dass ihre Pflichtverletzung unter dem Gesichtspunkt des Arbeitszeitbetrugs strafrechtliche Relevanz habe. Auch nach langjähriger Beschäftigungsdauer könne einem verständigen Arbeitgeber nicht zugemutet werden, durch das vorsätzliche Nichterfassen von Pausenzeiten betrogen zu werden. Durch die Möglichkeit, die Arbeitszeit im Rahmen des flexiblen Arbeitszeitmodells selbst zu erfassen, habe die Klägerin einen Vertrauensvorschuss erhalten. Dieses Vertrauen habe die Klägerin missbraucht. Das wiederholte Nichtbuchen von Raucherpausen und das dadurch bedingte Erschleichen bezahlter Pausen durch die Klägerin stelle einen schwerwiegenden Vertrauensbruch dar, der auch nach langjähriger Beschäftigung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertige.
Auch eine vorherige Abmahnung sei nicht erforderlich, da es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handele, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen war. Angesichts der Kenntnis der Klägerin von der sie treffenden Pflicht zur Buchung von Raucherpausen, angesichts der Schwere des Vertrauensbruchs und der auch strafrechtlichen Relevanz ihres Verhaltens konnte die Klägerin nicht davon ausgehen, dass die Beklagte ihr Fehlverhalten hinnehmen und es nicht zum Anlass für eine Kündigung – auch ohne vorherige Abmahnung – nehmen würde.
Das Wichtigste
Ein Arbeitszeitbetrug, bei dem ein Mitarbeiter vortäusche, für einen näher genannten Zeitraum seine Arbeitsleistung erbracht zu haben, obwohl dies tatsächlich nicht oder nicht in vollem Umfang der Fall ist, stellt eine besonders schwerwiegende Pflichtverletzung dar und erfüllt an sich den Tatbestand des wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB. Dasselbe gelte für den Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber sonst kaum sinnvoll kontrollierbare Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren. Dabei komme es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch an.
Auch die hartnäckige Missachtung der Anweisung, bei Raucherpausen auszustempeln, ist geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu begründen.
Der Gleichbehandlungsgrundsatz kann im Rahmen der Interessenabwägung dann zugunsten eines Arbeitnehmers zu berücksichtigen sein, wenn der Arbeitgeber in der Vergangenheit bei bestimmten Pflichtverletzungen stets und nicht nur wegen der Besonderheiten des Einzelfalls keine kündigungsrechtlichen Konsequenzen gezogen hat oder wenn der Arbeitgeber bei gleichgelagerten Pflichtverletzungen willkürlich einen von mehreren vergleichbar beteiligten Arbeitnehmern herausgreift. Der Arbeitnehmer hat die gleichgelagerten Pflichtverletzungen, die trotz Kenntnis des Arbeitgebers von diesem nicht zur Grundlage kündigungsrechtlicher Konsequenzen gegenüber den übrigen Mitarbeitern gemacht werden konkret darzulegen.
Eine Nikotinsucht mag allenfalls die Anzahl der Raucherpausen erklären, nicht jedoch die Verletzung der Pflichten zu deren ordnungsgemäßer Dokumentation.
Bei bewusst falschen Angaben hinsichtlich der Arbeitszeit oder bei mehrfachen nicht unerheblichen Falschaufzeichnungen bedarf es in der Regel nicht noch einer vergeblichen Abmahnung.
Praxistipps
Die vorliegende Entscheidung unterstreicht, dass Arbeitsgerichte beim Thema „Arbeitszeitbetrug“ häufig tendenziell arbeitgeberfreundlich entscheiden.
Allerdings sind stets die Besonderheiten des Einzelfalls intensiv zu prüfen und aufzubereiten.
Hierbei sind zunächst die jeweils zugrunde liegenden Sachverhalte (z.B. Verstöße gegen die Dokumentationspflicht (hier z.B.: Raucherpausen ohne Auszustempeln)) von Ihnen als Arbeitgeber möglichst vollständig aufzuklären und möglichst umfassend zu dokumentieren.
Umsichtige Arbeitgeber sollten beim Thema Arbeitszeitbetrug auch immer an das Stichwort „Verdachtskündigung“ denken und den Arbeitnehmer zu den gegen ihn bestehenden Verdachtsmomenten im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung anhören (zum Thema Arbeitszeitbetrug verweise ich auch auf die grundlegenden Ausführungen meines Kollegen Dr. Alexander Scharf in unserem Artikel aus der vergangenen Woche).
Hervorzuheben ist, dass in vergleichbaren Konstellationen von Ihnen als Arbeitgeber insbesondere darzulegen ist, dass bzw. wodurch der Arbeitnehmer die Regelungen kannte, aus der sich für ihn eine Dokumentationspflicht die Arbeitszeit bzw. die Arbeitszeitunterbrechungen betreffend ergibt.
Weitere Informationen zum Thema Arbeitsrecht Hamburg erhält man auch unter https://scharf-und-wolter.de/fachanwalt-hamburg/fachanwalt-arbeitsrecht/ sowie unter Anwalt Hamburg