Mit Urteil vom 27.05.2020, 5 AZR 387/19, hat das BAG eine äußerst praxisrelevante Entscheidung gefällt, die wichtige Tipps zur Verteidigung gegen Annahmeverzugslohnansprüche enthält.
Der Hintergrund
Nach einer unwirksamen Kündigung geraten Sie als Arbeitgeber in Annahmeverzug und haben dem Arbeitnehmer gemäß § 615 Satz 1 BGB die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste zu vergüten. Gemäß § 615 Satz 2 BGB bzw. § 11 Nr. 2 KSchG muss der Arbeitnehmer sich auf seinen Anspruch jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.
Üblicherweise haben Sie als Arbeitgeber insbesondere keine Kenntnis davon, ob und welche Arbeitsvermittlungsangebote einem Arbeitnehmer zwischenzeitlich von der Agentur für Arbeit oder dem Jobcenter unterbreitet worden sind. Sie stehen als Arbeitgeber somit regelmäßig vor dem Problem nicht beweisen zu können, dass es ein Arbeitnehmer böswillig unterlassen hat, eine andere Beschäftigung einzugehen.
Der Fall
Die Beklagte fordert vom Kläger im Zusammenhang mit einer Klage auf Vergütung wegen Annahmeverzugs widerklagend Auskunft über von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter dem Kläger übermittelte Stellenangebote.
Die Beklagte hatte gegenüber dem Kläger mehrere Kündigungen ausgesprochen. Diese Kündigungen wurden vom Kläger erfolgreich mit einer Kündigungsschutzklage angegriffen. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien besteht fort. Seit Februar 2013 zahlte die Beklagte keine Vergütung mehr an den Kläger.
Der Kläger erhob Klage auf Zahlung von Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Zeit ab Februar 2013 unter Anrechnung bezogenen Arbeitslosengeldes I und II.
Die Beklagte erhob den Einwand, der Kläger habe es böswillig unterlassen, anderweitig Verdienst zu erzielen. In diesem Zusammenhang begehrt die Beklagte vom Kläger mittels Widerklage Auskunft über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter in der Zeit vom 1. Februar 2013 bis zum 30. November 2015 dem Kläger unterbreiteten Stellenangebote Dritter.
Die Entscheidung
Das BAG gab der Widerklage der Beklagten – wie auch die Vorinstanzen – statt und wies die Revision der Klägerin ab.
Das Gericht stellt hierbei fest, dass Arbeitgeber gegen den Arbeitnehmer, der Vergütung wegen Annahmeverzugs fordert, einen Auskunftsanspruch über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge habe. Grundlage des Auskunftsbegehrens sei eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis nach § 242 BGB.
Der Auskunftsanspruch nach § 242 BGB setze im Einzelnen voraus:
(1) das Vorliegen einer besonderen rechtlichen Beziehung,
(2) die dem Grunde nach feststehende oder (im vertraglichen Bereich) zumindest wahrscheinliche Existenz eines Leistungsanspruchs des Auskunftsfordernden gegen den Anspruchsgegner,
(3) die entschuldbare Ungewissheit des Auskunftsfordernden über Bestehen und Umfang seiner Rechte sowie
(4) die Zumutbarkeit der Auskunftserteilung durch den Anspruchsgegner.
Schließlich dürften
(5) durch die Zuerkennung des Auskunftsanspruchs die allgemeinen Beweisgrundsätze nicht unterlaufen werden.
Das BAG bejaht das Vorliegen der vorstehenden Voraussetzungen und führt u.a. aus, dass es dem Arbeitgeber unmöglich sei, sich die notwendigen Informationen selbst auf zumutbare, rechtmäßige Weise zu beschaffen. So stehe insbesondere das Sozialgeheimnis nach § 35 SGB I einem direkten Auskunftsverlangen an die Agentur für Arbeit oder an das Jobcenter entgegen.
Ohne einen Auskunftsanspruch würden die gesetzlich vorgesehenen Anrechnungsmöglichkeiten (§ 11 Nr.1 und Nr. 2 KSchG) jedenfalls in Bezug auf anderweitig erzielten Verdienst und Arbeitsmöglichkeiten bei Dritten faktisch leer laufen.
Nach Erteilung der Auskunft über erfolgte Vermittlungsvorschläge sei es noch immer am Arbeitgeber, diese Einwendung (böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes) so substanziell zu begründen, dass sich der Arbeitnehmer im Wege abgestufter Darlegungs- und Beweislast hierzu einlassen könne, weshalb die ihm unterbreiteten Vermittlungsvorschläge unzumutbar waren.
Inhaltlich habe der Kläger Auskunft über die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und des Jobcenters unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung zu erteilen.
Das Wichtigste
Eine aus Arbeitgebersicht sehr erfreuliche Entscheidung.
Durch den Auskunftsanspruch erhalten Arbeitgeber, die auf Annahmeverzugslohn in Anspruch genommen werden, ein hilfreiches Instrument um den Einwand, der Arbeitnehmer habe anderweitigen Erwerb böswillig unterlassen, konkret begründen und effektiv einsetzen zu können.
Durch die Geltendmachung des Auskunftsanspruches werden die Chancen auf einen Vergleich zu akzeptablen finanziellen Bedingungen in vielen Konstellationen erheblich steigen können.
Praxistipps
1. Vorsichtigen Arbeitgebern ist zu empfehlen, gekündigte Arbeitnehmer, die gegen die Kündigung Klage eingelegt haben, nach Ablauf der Kündigungsfrist jeweils regelmäßig zur Auskunft über einen anderweitigen Erwerb sowie über erfolgte Vermittlungsversuche der Agentur für Arbeit und/oder des Jobcenters aufzufordern.
2. Das BAG betont, dass die Erhebung einer Widerklage zur Durchsetzung des Auskunftsbegehrens nicht zwangsläufig erforderlich sei.
Ebenfalls möglich sei es, die Auskunft in die Verteilung der Darlegungslast zu integrieren. Die Geltendmachung des Auskunftsbegehrens kann somit auch in den arbeitgeberseitigen Sachvortrag bei der Einwendung nach § 615 S. 2 BGB / § 11 Nr. 2 KSchG (böswillig unterlassener anderweitiger Erwerb) eingebettet werden. Der klagende Arbeitnehmer hätte sich dann hierauf im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast nach § 138 ZPO I und II ZPO konkret einzulassen.
Bei Fragen und Anmerkungen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
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