Arbeitszeiterfassung – jetzt wird es ernst!

Bereits im Jahr 2019 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Mitgliedsländer der EU aufgefordert, ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ einzuführen, mit dem die vom jeden Arbeitnehmer geleistete Arbeitszeit gemessen werden kann (Urteil v. 14.05.2019 – C-55/18). Diese Verpflichtung ergebe sich, so der EuGH aus der Grundrechtecharta sowie aus der europäischen Arbeitszeitrichtlinie.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich in einer vielbeachteten Entscheidung im September 2022 dieser Auffassung angeschlossen und entschieden, dass Arbeitgeber bereits jetzt verpflichtet seien die tägliche Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer zu erfassen. Dies ergebe sich laut BAG aus einer europarechtskonformen Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG.

Wie das BAG in die Regelung des Arbeitsschutzgesetzes, nach der der Arbeitgeber „für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen habe“ um die Ziele des Arbeitsschutzgesetzes umzusetzen hineingelesen hat, dass Arbeitgeber verpflichtet seien die Arbeitszeit aufzuzeichnen, bleibt sicherlich sein Geheimnis. Normal Sterbliche wie ich können diese Verpflichtung nicht erkennen.

Einig sind sich jedoch alle zumindest darin, dass es nach wie vor in Deutschland keine ausdrückliche und konkrete gesetzliche Regelung gibt, die Arbeitgeber verpflichtet die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter aufzuzeichnen. Das wird sich jetzt ändern!

Mit etwas Verspätung hat der Bundesarbeitsminister in der letzten Woche einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt. Was sind die wesentliche Inhalte?

1. Was muss ich tun?

Der Gesetzesentwurf sieht hier vor, dass jeder Arbeitgeber verpflichtet ist „Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch aufzuzeichnen“.

Zum einen wird hier ganz klar die elektronische Zeiterfassung festgelegt (Ausnahmen: siehe Nr. 5), die analoge Zeiterfassung ist also nicht zulässig. Des weiteren reicht aber die Erfassung von Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit aus. Weitere Daten müssen also nicht erfasst werden.

Schließlich sei darauf hingewiesen, dass der Gesetzesentwurf die tagesaktuelle Erfassung der Arbeitszeit verlangt. Es ist also grundsätzlich nicht möglich die Arbeitszeit einer Woche z.B. erst am Ende der Woche zu erfassen.

2. Wie lange aufbewahren?

Die Daten aus der Zeiterfassung müssen gespeichert werden und bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses, mindestens jedoch für 2 Jahre aufbewahrt werden.

Jeder Arbeitnehmer hat ein Recht auf Information über die aufgezeichnete Arbeitszeit und ihm steht auch ein Recht auf Aushändigung einer Kopie der Arbeitszeitaufzeichnungen zu.

3. Muss ich es selber tun?

Der Grundsatz des Gesetzesentwurfs ist, dass der Arbeitgeber die Arbeitszeit erfasst. Es ist allerdings zulässig diese Pflicht zu delegieren (z.B. auf Vorgesetzte bzw. auf den Arbeitnehmer selbst).

Auch wenn der Arbeitgeber die Arbeitszeiterfassung delegiert, ist er jedoch weiter verpflichtet sicherzustellen, dass die Aufzeichnungspflicht bezüglich der Arbeitszeit ordnungsgemäß umgesetzt wird.

Darüber hinaus wird der Arbeitgeber weiterhin verpflichtet sein, sicherzustellen, dass nicht gegen die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes verstoßen wird (z.B. Höchstarbeitszeit, Ruhezeiten, Pausenzeiten). Insofern müssen die konkreten erfassten Arbeitszeiten regelmäßig überprüft werden. Bei Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz muss der Arbeitgeber dann geeignete Maßnahmen ergreifen um zukünftige Verstöße zu verhindern.

4. Ist die Vertrauensarbeitszeit tot?

Eine Vertrauensarbeitszeit in der Form, dass Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit nicht festgelegt sondern vom Arbeitnehmenden bestimmt werden, ist weiterhin möglich; die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung steht dem nicht entgegen.

Die Vertrauensarbeitszeit in der Form, dass unter Verstoß gegen die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes „ohne Ende“ gearbeitet wird, gehört jedoch der Vergangenheit an. Dies vor allem deswegen, dass aufgrund der Aufzeichnungspflicht für die Aufsichtsbehörde sehr genau ersichtlich ist, wann und in welchem Umfang ggf. gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen wurde.

5. Gibt es Ausnahmen?

In Tarifverträgen sowie in Betriebsvereinbarungen (sofern solche in Tarifverträgen zugelassen wurden) kann zum einen festgelegt werden, dass die Arbeitszeiterfassung nicht elektronisch erfolgen muss, zum anderen, dass die Arbeitszeit nicht am selben Tag aufgezeichnet wird. Für diesen Fall muss die Aufzeichnung spätestens bis zum siebten Tag nach dem jeweiligen Arbeitstag erfolgen.

Weitere Ausnahmen gibt es für kleinere und mittlerer Unternehmen. Während die Übergangsfrist für die elektronische Aufzeichnung für alle Unternehmen 1 Jahr beträgt (in diesem Zeitraum muss aber analog erfasst werden!), gelten für Arbeitgeber mit weniger als 250 Arbeitnehmenden eine Übergangsfrist von 2 Jahren, für Arbeitgeber mit weniger als 50 Arbeitnehmenden eine Übergangsfrist von 5 Jahren. Arbeitgeber mit bis zu 10 Arbeitnehmenden müssen gar keine elektronische Aufzeichnungsmöglichkeit bereitstellen. Eine analoge Aufzeichnung ist aber dennoch erforderlich.

6. Wann geht’s los?

Derzeit liegt der Gesetzesentwurf bei den Interessenverbänden, die vom Arbeitsministerium zur Stellungnahme aufgefordert wurden. Sobald dies erfolgt ist, werden ggf. Änderungen am Gesetzesentwurf vorgenommen und dieser dann von der Bundesregierung beschlossen. Darauf hin wird der Entwurf dann in den Bundestag eingebracht werden. Wie lange es bis zur Verabschiedung des finalen Gesetzes dauert, kann derzeit nicht gesagt werden. Wir halten Sie auf dem Laufenden!

Bei Fragen zur Arbeitszeiterfassung kommen Sie gerne auf mich zu.

7. Und sonst so?

Zur Zeit passiert in der Gesetzgebung eine Menge. In unserem Podcast „Arbeitsrecht für Arbeitgeber“ sprechen wir jede Woche unter anderen über neue Gesetzesvorhaben wie das Familienstartzeitgesetz sowie die europäische Entgelttransparenzrichtlinie, welche deutlich über das deutsche Entgelttransparenzgesetz hinausgeht.

Der Wahnsinn hat Methode – neues Urteil des BAG zum Urlaubsrecht!

Das Bundesarbeitsgericht hat zusammen mit dem Europäischen Gerichtshof in den letzten 10 Jahren das Urlaubsrecht völlig auf den Kopf gestellt. Zuletzt ging es in den Entscheidungen immer wieder um den Verfall von Urlaub.

Danach ist es nunmehr so, dass Urlaub nur noch verfallen kann, wenn der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer*innen vorher rechtzeitig auf den noch bestehenden konkreten Urlaubsanspruch sowie auf seinen Verfall zu einem konkreten Datum hingewiesen hat.

Auch verjähren kann der Urlaub erst ab diesem Zeitpunkt. Erfolgt dieser Hinweis nicht, kann theoretisch auch noch ein Urlaubsanspruches aus einem Jahr verlangt werden, das z.B. 10 Jahre zurückliegt.

Ein Hinweis ist nicht notwendig, wenn ein Arbeitnehmender das gesamte Jahr über arbeitsunfähig krank war.

Wie ist es aber in einem Jahr, in dem der Arbeitnehmer im Laufe des Januars krank wird und die Krankheit dann über das gesamte Jahr andauert? Mit einer solchen Konstellation hatte sich das BAG in eine Entscheidung zu befassen, die nunmehr veröffentlich wurde (Urteil vom 31.01.2023 – 9 AZR 107/20).

Der Fall

Der Arbeitnehmer war seit 1989 beim Arbeitgeber beschäftigt. Er hatte einen jährlichen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen.

Vom 18. Januar 2016 bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag zum 28.02.2019 war der Arbeitnehmer durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.

Im Aufhebungsvertrag war zwar der Urlaub für 2017 – 2019 geregelt, zum Urlaub für 2016 wurde jedoch ausdrücklich aufgenommen, dass dieser zwischen den Parteien strittig sei.

Es kam wie es kommen musste – der Arbeitnehmer klagte vor dem Arbeitsgericht die Abgeltung der 30 Tage für 2016 in Höhe von € 5.504,70 brutto ein.

Das Arbeitsgericht und auch das Landesarbeitsgericht haben die Klage des Arbeitnehmers abgewiesen. Gegen das abweisende Urteil des LAG legte der Arbeitnehmer Revision zum BAG ein.

Die Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht hob die Entscheidung des LAG auf und verweis den Streit an das LAG zu Klärung weiterer Tatsachen zurück.

Hierbei wies das BAG darauf hin, dass die Rechtsauffassung des LAG, der Urlaub aus dem Jahr 2016 sei 15 Monate nach Ende des Jahres verfallen auch wenn der Arbeitgeber im Jahr 2016 dem Arbeitnehmer gegenüber keinen Hinweis über den Verfall des Urlaubs gegeben habe, falsch sei.

Urlaub verfällt – so das BAG weiter – nur dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer (durch einen Hinweis bzw. durch eine Aufforderung) in die Lage versetzt hat seinen Urlaub zu nehmen und der Arbeitnehmer diesen aus freien Stücken nicht nimmt.

Nur in Ausnahmefällen, könne also der Urlaub nach Meinung des BAG dann verfallen, wenn die Krankheit des Arbeitnehmenden sehr früh in einem Jahr eintritt, so dass es dem Arbeitgeber nicht möglich ist, auf die Urlaubnahme und den Verfall hinzuweisen.

Da der volle Urlaubsanspruch in einem Arbeitsverhältnis das bereits länger als 6 Monate besteht zum 01. Januar eines jeden Jahres entsteht, müsse der Arbeitgeber – so das BAG – den Arbeitnehmer unverzüglich nach Entstehen des Urlaubsanspruches auf die Urlaubsnahme und dessen Verfall hinweisen.

Was bedeutet unverzüglich denn nun konkret?

Das BAG vertritt in der vorliegenden Entscheidung die Auffassung, der Arbeitgeber hätte den Arbeitnehmer bis zum 08.01. auf seinen Urlaub und möglichen Verfall bei Nichtnahme hinweisen müssen.

Die Konsequenzen in der Praxis

Aufgrund des Urteils müssen Arbeitgeber ihre Vorgehensweise erneut ändern. Um sicher zu gehen, dass Urlaub am 31.03. des übernächsten Jahres auch wirklich verfällt, müssen alle Arbeitgeber nun stets bereits zu Beginn des Jahres (spätestens am 08. Januar) alle ihre Arbeitnehmer*innen auf ihren Urlaubsanspruch (inkl. eines eventuellen Zusatzurlaubes wegen einer Behinderung) und auf den Verfall am 31.03. des übernächsten Jahres bei Nichtnahme hinweisen.

Wieso ging es hier um die Abgeltung von 30 Tagen Urlaub?

Sie können Ihr Risiko als Arbeitgeber deutlich reduzieren, wenn Sie im Arbeitsvertrag den Urlaub in den gesetzlichen und den zusätzlichen Urlaub aufteilen. In diesem Fall, können Sie ebenfalls regeln, dass der zusätzliche Urlaub bereits vorher verfällt. Die vorstehende Rechtsprechung gilt nämlich nur für den gesetzlichen Urlaub.

Im vorliegenden Fall des BAG beruhte der Urlaub nämlich auf einem Tarifvertrag, der nicht zwischen dem gesetzlichen und dem zusätzlichen Urlaub unterschied.

Kommen Sie gerne auf uns zu, wenn wir überprüfen sollen, ob Ihre arbeitsvertragliche Regelung hier ausreichend ist. Wir bieten Ihnen an, Ihr gesamtes Arbeitsvertragsmuster einem kostenfreien Erstcheck zu unterziehen. Nur wenn Veränderungsbedarf besteht, würden wir Ihnen diesen mitteilen und Ihnen dann ein Angebot zur Überarbeitung unterbreiten.

Freizeit ist Freizeit – scheinbar ohne Ausnahme!

Wo endet die Arbeitszeit und wo beginnt die Freizeit? Mit der Beantwortung dieser Frage in einer sehr speziellen Situation hatte sich jetzt das Landesarbeitsgericht Schleswig Holstein (Urteil vom 27.09.2022, Az. 1 Sa 39 öD/22) zu beschäftigen.

Der Fall

Der Arbeitnehmer war als Notfallsanitäter beschäftigt. Der Arbeitgeber wollte diesen über eine kurzfristig erforderliche Dienstplanänderung für den Folgetag informieren. In insgesamt drei Fällen konnte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer – in zwei Fällen telefonisch und per SMS und in einem Fall auch per E-Mail nicht erreichen. Der Arbeitnehmer meldete sich dann jeweils wie ursprünglich geplant und nicht entsprechend des geänderten Dienstplans zu seinen Diensten. Der Arbeitgeber wertete das Verhalten seines Angestellten als unentschuldigtes Fehlen und erteilte ihm zunächst eine Ermahnung und dann eine Abmahnung. Hiergegen wandte sich der Arbeitnehmer und verlangte vor dem Arbeitsgericht die Entfernung dieser Schreiben aus der Personalakte.

Das Arbeitsgericht entschied zugunsten des Arbeitgebers und wies die Klage ab. Hiergegen richtet sich die zum LAG erhobene Berufung.

Die Entscheidung

Das LAG Schleswig-Holstein hob die Entscheidung des Arbeitsgerichtes auf und gab dem Arbeitnehmer in vollem Umfang recht. Der Arbeitgeber wurde verpflichtet, die Abmahnung und die Ermahnung aus der Personalakte zu entfernen.

Nach Auffassung des LAG musste der Arbeitgeber damit rechnen, dass der Notfallsanitäter die ihm geschickte SMS erst mit Beginn seines Dienstes zur Kenntnis nahm. Zu diesem Zeitpunkt sei der Sanitäter verpflichtet, seiner Arbeit nachzugehen und dazu gehöre auch, die in seiner Freizeit bei ihm eingegangenen dienstlichen Nachrichten des Arbeitgebers zu lesen.

Es habe auch kein treuwidriges Verhalten des Arbeitnehmers vorgelegen, urteilte das LAG. Das Recht auf Nichterreichbarkeit diene neben dem Gesundheitsschutz des Arbeitnehmers dem Persönlichkeitsschutz. „Es gehört zu den vornehmsten Persönlichkeitsrechten, dass ein Mensch selbst entscheidet, für wen er/sie in dieser Zeit erreichbar sein will oder nicht“, hieß es vom Landesarbeitsgericht.

MIt anderen Worten war der Arbeitnehmer aus Sicht des LAG während seiner Freizeit nicht einmal verpflichtet Nachrichten des Arbeitgebers bezüglich des geänderten Dienstplans zu lesen.

Ausblick

Ein eher enttäuschendes Urteil. Verständlich ist, dass ein Arbeitnehmer nicht während seiner Freizeit Tätigkeiten für seinen Arbeitgeber zu erbringen hat. Diese grundsätzlich richtige Rechtsauffassung kann jedoch aus unserer Sicht nicht dazu führen, dass man sich der Kommunikation mit dem Arbeitgeber vollständig entzieht und somit z.B. für die Mitteilung kurzfristiger Dienstplanänderungen nicht erreichbar ist.

Das Landesarbeitsgericht hat immerhin die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Es bleibt also zu hoffen, dass das BAG hier die Maßstäbe wieder zurechtrückt.

Ein BEM kann (zum Glück) schneller beendet sein als man denkt!

Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ist für jeden Arbeitgeber ein zusätzliches Problem auf dem Weg zu einer wirksamen krankheitsbedingten Kündigung.

Die Anforderungen an das BEM sind vielfältig und beginnen bereits bei einer ordnungsgemäßen Einladung, in der „in einer verständlichen Sprache“ nicht nur auf den Zweck sondern auch auf die während des BEM verarbeiteten personenbezogenen Daten hingewiesen werden muss. Zusätzlich muss vor Beginn des BEM vom Arbeitnehmenden eine datenschutzrechtliche Einwilligung eingeholt werden.

Wie das BEM konkret abzulaufen hat, ist gesetzlich nicht geregelt; hier kann man im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses also trefflich darüber streiten, ob alle notwendigen Schritte erfolgt, alle Fragen gestellt und alle Maßnahmen geprüft bzw. durchgeführt worden sind – alles während das Damoklesschwert der Unwirksamkeit der Kündigung über einem schwebt.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urteil vom 17. Mai 2022 – 14 Sa 825/21) hat hierzu nun ein sehr wichtiges Urteil gefällt, das vielen Arbeitgebern weiterhelfen kann.

Der Fall

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, personenbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen häufiger Kurzerkrankungen.

Der Arbeitnehmer ist seit August 2018 beim Arbeitgeber als Luftsicherheitsassistent beschäftigt. Aufgrund häufiger Kurzerkankungen wurde sein Arbeitsverhältnis gekündigt.

Vorab wurde der Arbeitnehmer am 23.07.2020 zu einem BEM mit einem Erstanschreiben eingeladen und stimmte dessen Durchführung zu. Im einzigen BEM-Gespräch erklärt er, dass er wieder voll einsatzfähig sei und aktuell keine Erkrankungen vorliegen würden, die ihn bei der Arbeit beeinträchtigen würden. Auf einem vom Arbeitnehmer unterzeichneten Formular stellen die Anwesenden „einvernehmlich fest, dass das betriebliche Eingliederungsmanagement, begonnen mit dem Einladungsschreiben vom 23.07.20, am 29.10.20 beendet wurde.

Gegen die darauf hin ausgesprochene krankheitsbedingte Kündigung erhob der Arbeitnehmer Klage zum Arbeitsgericht Düsseldorf. Dieses hielt die Kündigung für unwirksam und gab der Klage statt. Gegen diese Entscheidung wandte sich der Arbeitgeber mit seiner Revision zum LAG Düsseldorf.

Die Entscheidung

Das LAG entschied zu Gunsten des Arbeitgebers und hob das Urteil des Arbeitsgerichtes auf.

Die Kündigung sei wirksam, so das LAG in seiner Begründung. Insbesondere sei auch das BEM wirksam durchgeführt worden. Zwar sei es inhaltlich unvollständig, da z.B. nicht einmal geklärt worden sei, auf welchen Gründen die Krankheiten des Arbeitnehmers beruhen, hierauf komme es jedoch nicht an, da das BEM durch die gemeinsame Erklärung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer einvernehmlich abgeschlossen worden sei.

Der Praxistipp

Ein sehr positives und praxisnahes Urteil aus Arbeitgebersicht. Die erheblichen Risiken, ob ein BEM ordnungsgemäß durchgeführt wurde, können deutlich beschränkt werden, wenn man eine gemeinsame Erklärung unterschreibt, dass das BEM-Verfahren abgeschlossen ist.

Wichtig ist, dass dieser Weg nur dann möglich ist, wenn vorab eine ordnungsgemäße Einladung erfolgt ist. So schreibt das LAG in seiner Urteilsbegründung unter anderem, dass es darauf ankomme, ob der Arbeitnehmer die notwendigen Kenntnisse über das BEM-Verfahren besitze, um beurteilen zu können, ob es beendet oder fortgesetzt werden solle. Dies ist nur möglich, wenn der Arbeitnehmer vorab umfassend über das BEM-Verfahren informiert wurde.

Wenn Sie Hilfe bei der Erstellung einer BEM-Einladung, der datenschutzrechtlichen Einwilligung oder bei der Durchführung eines BEM-Verfahrens benötigen, dann kommen Sie gerne auf mich zu.

Gegen die o.g. Entscheidung des LAG wurde Revision zum BAG eingelegt. Wir halten Sie auf dem Laufenden.

Kündigung unwirksam – Muss jetzt auch noch für viele Monate der Lohn nachgezahlt werden?

Kündigungsstreitigkeiten können vor Gericht, insbesondere wenn sie über mehrere Instanzen geführt werden, viele Monate und zum Teil Jahre andauern, sodass auf Arbeitgeberseite schnell ein finanzielles Risiko in fünf- bis sechsstelliger Höhe entstehen kann.

Stellt sich eine arbeitgeberseitige Kündigung nachträglich als rechtsunwirksam heraus, sind Sie als Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, dem Arbeitnehmer unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges die Vergütung für den Zeitraum nachzuzahlen, den Sie ihn aufgrund der unwirksamen Kündigung nicht beschäftigt haben.

Wir stellen Ihnen ein aktuelles Gerichtsurteil vor, in dem es um eine Annahmeverzugslohnforderung für einen Zeitraum von gut 11 Monaten geht, beleuchten die rechtlichen Hintergründe zum Thema Annahmeverzug und zeigen auf, wie Sie sich hiergegen als Arbeitgeber zur Wehr setzen können.

Was ist eigentlich Annahmeverzug?

Annahmeverzug liegt allgemein vor, wenn der Gläubiger die ihm angebotene Leistung nicht rechtzeitig zum Leistungszeitpunkt annimmt.

Was ist Annahmeverzugslohn?

§ 615 BGB regelt, dass Sie als Arbeitgeber – sofern Sie sich im Annahmeverzug befinden – auch die nicht vom Arbeitnehmer geleisteten Dienste vergüten müssen (Annahmeverzugslohn), ohne dass der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist.

§ 615 BGB stellt somit eine Ausnahme vom Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ dar.

Besonderheiten des Annahmeverzugs im Arbeitsrecht

Bei einer arbeitgeberseitigen Kündigung ist ein arbeitnehmerseitiges Angebot der Arbeitsleistung nach Ablauf der Kündigungsfrist grundsätzlich überflüssig.

Im Ausspruch der arbeitgeberseitigen Kündigung liegt nach der ständigen Rechtsprechung des BAG grundsätzlich die Weigerung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.

Wie können Sie sich als Arbeitgeber effektiv gegen die Geltendmachung von Annahmeverzugslohn zur Wehr setzen?

Der Arbeitnehmer muss sich auf das Arbeitsentgelt, das Sie ihm als Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schulden, neben bezogenen Sozialleistungen dasjenige anrechnen lassen, was er durch anderweitige Arbeit verdient hat (§ 11 Nr. 1 KSchG) und was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen (§ 11 Nr. 2 KSchG).

Wie erfahren Sie als Arbeitgeber davon, ob ein Arbeitnehmer anderweitigen Verdienst erzielt oder böswillig unterlassen hat?

Das BAG hat mit Urteil vom 27.05.2020 (5 AZR 387/19) entschieden, dass Sie als Arbeitgeber gegen den Arbeitnehmer, der Vergütung wegen Annahmeverzugs fordert, u.a. einen Auskunftsanspruch über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge haben.

Die Kenntnis dieses Urteils ist für sämtliche auf Arbeitgeberseite tätigen Personen von grundlegender Bedeutung.

Der Auskunftsanspruch und dessen Geltendmachung gehören zum Rüstzeug jedes Personalers.

Das aktuelle Urteil

Ein aktuelles Urteil des ArbG Stuttgart (Urteil vom 23.02.2023, 25 Ca 256/22) enthält auf den ersten Blick „nur“ einen Anwendungsfall der vorbezeichneten BAG-Rechtsprechung.

Auf den zweiten Blick enthält die Entscheidung des ArbG Stuttgart jedoch eine Verschärfung des o.g. BAG Urteils, die für Sie als Arbeitgeber von großem Nutzen sein kann.

Der Fall

Der zugrunde liegende Fall ist schnell erzählt:

Die beklagte Arbeitgeberin hatte den Arbeitnehmer wiederholt fristlos und fristgemäß gekündigt. Der Kläger war seit Zugang der ersten Kündigung vom Anfang Mai 2017 arbeitslos. Die Kündigungsschutzklagen des Arbeitnehmers waren jeweils erfolgreich.

Der Kläger macht mit der vorliegenden Klage Annahmverzugslohnansprüche für den Zeitraum von Mai 2017 bis März 2018 geltend.

Die Beklagte forderte den Kläger im Rahmen des vorliegenden Verfahrens entsprechend der geschilderten Rechtsprechung des BAG auf, Auskunft zu geben, über die Höhe der seit Mai 2017 erzielten anderweitigen Einkünfte und über die seit Mai 2017 unterbreiteten Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit.

Die Entscheidung

Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen, da der Kläger auf den von Arbeitgeberseite geltend gemachten Auskunftsanspruch nichts erwidert bzw. nichts vorgetragen hatte.

Was ist neu?

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hätte die vorliegende Zahlungsklage im Hinblick auf die fehlende Auskunftserteilung als „zur Zeit“ unbegründet abgewiesen werden müssen.

Der Arbeitnehmer hätte also die Möglichkeit erhalten, seine Zahlungsklage bei Erfüllung des Auskunftsanspruches noch einmal einzureichen und erfolgreich durchzusetzen.

Das ArbG Stuttgart geht nunmehr einen anderen Weg und weist die Klage als „endgültig“ bzw. „insgesamt“ unbegründet ab, da die geltend gemachte Annahmeverzugsvergütung aufgrund der fehlenden Auskunft nicht berechenbar sei, da der Arbeitnehmer seiner (sekundären) Darlegungslast im Rahmen der Einwendung nach § 11 Nr. 2 KSchG nicht nachgekommen sei.

Das Wichtigste

1. Macht der Arbeitnehmer Annahmeverzugslohn geltend, trifft ihn eine sekundäre Darlegungslast. Da der im Hinblick auf die Einwendungen des § 11 Nr. 1 und Nr. 2 KSchG primär darlegungsbelastete Arbeitgeber keine Kenntnis von anrechenbaren Einkünften oder böswillig unterlassenem Zwischenverdienst hat, trifft den Arbeitnehmer die prozessuale Pflicht, sich auf Verlangen des Arbeitgebers zu diesen Punkten zu erklären. Hierzu gehört es auch, dass der Arbeitnehmer zu etwaigen Vermittlungsvorschlägen der Bundesagentur für Arbeit vorzutragen hat.

2. Kommt der Arbeitnehmer dieser sekundären Darlegungslast nicht nach, ist die Klage nicht nur als „zur Zeit“ unbegründet, sondern als „insgesamt“ unbegründet abzuweisen, da sich der Arbeitnehmer in voller Höhe einen hypothetischen Erwerb gemäß § 11 Nr. 2 KSchG anrechnen lassen muss.

Weshalb ist das wichtig?

Die vorstehende Entscheidung des ArbG Stuttgart stellt einen weiteren Baustein im Rahmen der Abwehr von Annahmeverzugslohnansprüchen dar.

Insbesondere in Vergleichsverhandlungen kann die vorgestellte Entscheidung des ArbG Stuttgart genutzt werden, da Arbeitnehmern, die ihre Auskunftspflichten nicht erfüllen, hiernach die endgültige und nicht mehr nur die vorläufige Abweisung von klageweise geltend gemachten Annahmeverzugslohnansprüchen droht.

Insgesamt ist in der Rechtsprechung bei Entscheidungen zum Thema Annahmeverzug – möglicherweise auch im Hinblick auf den herrschenden Arbeits- und Fachkräftemangel – eine arbeitgeberfreundlichere Tendenz zu erkennen.