Arbeitsrecht 4.0: Die elektronische AU-Bescheinigung kommt (später)! Verpflichtender Starttermin für Arbeitgeber erneut verschoben – Wie soll der Nachweis einer Arbeitsunfähigkeit in Zukunft erfolgen?

Wenn Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkranken, müssen sie die Arbeitsunfähigkeit dem Arbeitgeber unverzüglich anzeigen, § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Dauert eine Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, haben Arbeitnehmer gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen.

Wir hatten Ihnen bereits im Jahre 2019 über das Dritte Bürokratieentlastungsgesetz (BEG III) berichtet, welches u.a. die für die Personalpraxis bedeutsame Einführung einer elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorsieht.

Ab dem 01.07.2022 sollte der Abruf der elektronischen AU-Bescheinigung ursprünglich für Sie als Arbeitgeber verpflichtend werden.

Im Rahmen des „Gesetzes zur Verlängerung von Sonderregelungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie beim Kurzarbeitergeld und anderer Leistungen“, welches am 18.02.2022 vom Bundestag beschlossen worden ist, wurde dieser verpflichtende Starttermin für Sie als Arbeitgeber nunmehr auf den 01.01.2023 verschoben.

Hintergrund der Verschiebung – Verlängerung der Erprobungsphase

Bedingt durch die Auswirkungen der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten Pandemie hat sich die Einführung der elektronischen Übertragung der Daten zur Arbeitsunfähigkeit von den Ärzten an die Krankenkassen erheblich verzögert, sodass zum bisher vorgesehenen Endzeitpunkt der Pilotphase am 1. Juli 2022 nicht bei allen Vertragsärzten die technischen Voraussetzungen für die Datenübertragung an die Krankenkassen gegeben sind. Um sicherzustellen, dass das Abrufverfahren durch die Arbeitgeber, das auf die Meldungen durch die Ärzte an die Krankenkassen angewiesen ist, reibungslos erprobt werden kann, ohne dass technische Probleme ggf. arbeitsrechtlich negative Auswirkungen für die Arbeitnehmer haben, soll die Pilotphase für das elektronische Abrufverfahren der Arbeitsunfähigkeitsdaten deshalb um sechs Monate bis zum 31. Dezember 2022 verlängert werden.

Ausblick: Was ändert sich ab 01.01.2023?

Kernstück der Gesetzesänderung ist zunächst die Neufassungen des § 109 Abs. 1 SGB IV. Die Krankenkasse hat danach eine Meldung zum elektronischen Abruf durch den Arbeitgeber zu erstellen, die die Arbeitsunfähigkeitsdaten (Name des Beschäftigten, Beginn und Ende der AU, das Datum der ärztlichen Feststellung der AU und Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung) beinhaltet.

Neuer Gesetzeswortlaut:

§ 109 SGB IV lautet ab 01.01.2023 wie folgt:

Meldung der Arbeitsunfähigkeits- und Vorerkrankungszeiten an den Arbeitgeber

(1) Die Krankenkasse hat nach Eingang der Arbeitsunfähigkeitsdaten nach § 295 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Fünften Buches eine Meldung zum Abruf für den Arbeitgeber zu erstellen, die insbesondere die folgenden Daten enthält:

1. den Namen des Beschäftigten,
2. den Beginn und das Ende der Arbeitsunfähigkeit,
3. das Datum der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und
4. die Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung.

In den Fällen, in denen die Krankenkasse die Arbeitsunfähigkeitsdaten nach § 295 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Fünften Buches für einen geringfügig beschäftigten Versicherten erhält, hat sie die Daten nach Satz 1 am Tag des Eingangs für die zuständige Einzugsstelle bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See zum Abruf bereitzustellen. Die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See hat nach Anforderung durch den Arbeitgeber diese Daten für den Arbeitgeber bei der zuständigen Krankenkasse abzurufen und unverzüglich an den Arbeitgeber weiterzuleiten. Beauftragt der Arbeitgeber einen Dritten mit dem Abruf, darf dieser die Daten verarbeiten. Unberührt bleibt die Verpflichtung des behandelnden Arztes, dem Versicherten eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit nach § 73 Absatz 2 Satz 1 Nummer 9 des Fünften Buches in Verbindung mit § 5 Absatz 1a Satz 2 des Entgeltfortzahlungsgesetzes auszuhändigen.

(2) Stellt die Krankenkasse auf Grundlage der Angaben zur Diagnose in den Arbeitsunfähigkeitsdaten nach § 295 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Fünften Buches und auf Grundlage von weiteren ihr vorliegenden Daten fest, dass die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wegen anrechenbarer Vorerkrankungszeiten für einen Arbeitgeber ausläuft, so übermittelt sie dem betroffenen Arbeitgeber eine Meldung mit den Angaben über die für ihn relevanten Vorerkrankungszeiten. Satz 1 gilt nicht für geringfügig Beschäftigte.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für Beschäftigte nach den §§ 8a und 12.

(4) Das Nähere zu den Datensätzen und zum Verfahren regelt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen in Grundsätzen. Die Grundsätze bedürfen der Genehmigung durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft; die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist vor der Genehmigung anzuhören.

Änderung des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG)

Nach § 5 Absatz 1 EFZG wird zum 01.01.2023 folgender Absatz 1a eingefügt:

(1a) Absatz 1 Satz 2 bis 5 gilt nicht für Arbeitnehmer, die Versicherte einer gesetzlichen Krankenkasse sind. Diese sind verpflichtet, zu den in Absatz 1 Satz 2 bis 4 genannten Zeitpunkten das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer feststellen und sich eine ärztliche Bescheinigung nach Absatz 1 Satz 2 oder 4 aushändigen zu lassen. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht

1. für Personen, die eine geringfügige Beschäftigung in Privathaushalten ausüben (§ 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch), und

2. in Fällen der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt, der nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt.

Zusammenfassung – Was ändert sich und was bleibt?

Insbesondere die in § 5 Absatz 1 Satz 2 EFZG geregelte Nachweispflicht wird für gesetzlich krankenversicherte Beschäftigte ab 01.01.2023 entfallen. Als Arbeitgeber erhalten Sie somit ab 01.01.2023 von gesetzlich krankenversicherten Beschäftigten grundsätzlich keinen gelben Schein in Papierform mehr.

Die Nachweispflicht in § 5 Absatz 1 Satz 2 EFZG bleibt hingegen bei privat krankenversicherten Beschäftigten uneingeschränkt bestehen.
Auch bei geringfügig Beschäftigten in Privathaushalten verbleibt es bei der vorbezeichneten Nachweispflicht. Auch wenn die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch Ärzte erfolgt, die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen (z.B. im Ausland ansässige Ärzte) verbleibt es bei der bisher geltenden Nachweispflicht.

Weiterhin bleibt die Anzeigepflicht in § 5 Absatz 1 Satz 1 EFZG durch die Neuregelungen unangetastet. Arbeitnehmer sind damit weiterhin verpflichtet, Ihnen als Arbeitgeber jede Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen.

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Arbeitsrecht von A – Z: Ä wie Änderungsvertrag

Der Änderungsvertrag ist die einfachste Methode, um die Arbeitsbedingungen (im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer) zu verändern. Stimmt der Arbeitnehmer der Veränderung jedoch nicht zu, bleibt Ihnen nur noch die Änderungskündigung, welche allerdings eines Kündigungsgrundes bedarf (der oft nicht vorliegt).

Was muss bei einem Änderungsvertrag beachtet werden?

Schriftform?

Es gibt keine Vorschriften zur Form eines Änderungsvertrages, dieser kann also grundsätzlich auch mündlich oder sogar konkludent (durch schlüssiges Handeln) geschlossen werden. Aus Beweiszwecken sollten Sie aber die Schriftform (zwei eigenhändige Unterschriften – Arbeitgeber + Arbeitnehmer) oder zumindest die Textform (per Mail, per Fax, mit eingescannten Unterschriften oder mit elektronischen Signaturen) nutzen.

Sofern Sie allerdings ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot oder eine Befristung vereinbaren wollen, denken Sie bitte daran, dass diese nur dann wirksam sind, wenn die Schriftform eingehalten wird und Sie beweisen können, dass der Arbeitnehmer ein beidseitig unterzeichnetes Exemplar mit Originalunterschriften erhalten hat.

Vollständiger neuer Vertrag?

Aus Vereinfachungsgründen werden wir oft gefragt, ob es nicht ausreicht, wenn in einer einseitigen Vereinbarung nur die geänderten Punkte niedergelegt und unterzeichnet werden – oder ist es tatsächlich nötig einen vollständigen Vertragstext zu nutzen?

Rechtlich zwingend ist hier nichts – allerdings können wir nur dringend dazu raten, den Änderungsvertrag so zu schließen, dass ein Vertragsdokument mit allen derzeit geltenden Regelungen (inklusive der Änderungen) verwendet wird und am Ende ein Punkt eingefügt wird, dass diese Vereinbarung alle bisherigen Regelungen ersetzt.

Was sind die Vorteile?

Ein wesentlicher Vorteil besteht darin, dass Sie immer auf den ersten Blick wissen, welche Regelungen auf das konkrete Arbeitsverhältnis Anwendung finden.

Es ist nämlich durchaus schwierig den Überblick behalten, wenn es einen „vergilbten“ Arbeitsvertrag gibt, der 20 Jahre alt ist und dieser unzählige Male geändert wurde.

Hinzu kommt, dass immer wieder Widersprüche entstehen oder Fehler gemacht werden, wenn in einem Vertragsdokument nur einzelne Punkte geregelt werden. Dazu folgender echter Fall:

Eine Arbeitnehmerin arbeitete 5 Tage pro Woche und hatte laut Arbeitsvertrag 30 Arbeitstage Urlaub (also 6 Wochen). In einem Änderungsvertrag wurden die Arbeitstage auf 4 reduziert und das Gehalt entsprechend gekürzt. Weiterhin enthielt der Änderungsvertrag die Regelung „Alle übrigen Regelungen des Arbeitsvertrages blieben unverändert bestehen“.

Dies muss im vorliegenden Fall so verstanden werden, dass es auch bei den 30 Arbeitstagen Urlaub bleibt. Bei der nunmehr geltenden 4-Tage-Woche hat man so – ohne es zu wollen – den Urlaubsanspruch um 1,5 Wochen auf 7,5 Wochen erhöht (30 Urlaubstage : 4 Tage pro Woche).

Hinzu kommt, dass diese Änderung Anfang 2016 vereinbart wurde und die nicht genommenen 6 Tage pro Jahr (weil die Arbeitnehmerin dachte sie hätte nur 24 Tage) nach der neuen Rechtsprechung des BAG (Verfall nur, wenn der Arbeitgeber auf den noch bestehenden Urlaub und den Verfall zum 31.12. bei Nichtnahme hinweist) nicht verfallen sind. Da das vorliegende Arbeitsverhältnis nun endete, müssten diese 6 Tage pro Jahr für den Zeitraum 2016 – 2021 (= 36 Tage!) nun ausgezahlt werden. Sehr bitter!

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Fehler beim Recruiting vermeiden: AGG-Entschädigung für behinderten Bewerber wegen fehlender Meldung der offenen Stelle an die zuständige Arbeitsagentur?

Wir berichten heute über eine aktuelle, praxisrelevante Entscheidung des LAG Köln (Urteil vom 30.06.2021, 11 Ca 1172/20) zu einem Entschädigungsverfahren nach dem AGG.

Die Entscheidung zeigt aus unserer Sicht leider weit verbreitete arbeitgeberseitige Fehler im Rahmen von Stellenausschreibungen auf und gibt wichtige Hinweise für Arbeitgeber und Personalabteilungen, worauf im Rahmen von Stellenausschreibungen besonders geachtet werden sollte.

Was war passiert?

Der 1965 geborene schwerbehinderte Kläger ist promovierter Hochschulabsolvent im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften. Nach seiner Promotion im Jahre 1998 war er als Angestellter und Selbständiger u. a. in den Bereichen Consulting, Coaching und Projektbetreuung bzw. Projektleitung tätig, seit dem Jahre 2007 überwiegend in der Informationstechnik. Seit dem Mai 2019 ist der Kläger arbeitssuchend.

Die Beklagte – ein Unternehmen der IT-Dienstleistungsbranche mit über 4.000 Mitarbeitern – hat am 09.08.2019 eine Stellenausschreibung für die Position „(Senior) Agile Coach/Agilist (m/w/d)“ veröffentlicht.

Hinsichtlich der ausgeschriebenen Stelle hat die Beklagte der Bundesagentur für Arbeit (BA) keinen Vermittlungsauftrag erteilt, auch bestand kein Kooperationsvertrag mit der BA. Die Stellenanzeige gelangte über einen beauftragten privaten Dienstleister automatisch an die Online-Jobbörse der BA. Dort sind die Stellen unter Angabe des Titels des Stellenangebots, Veröffentlichungsdatum, Arbeitgeber, Arbeitsort und Entfernung zum Arbeitsort hinterlegt und mit einem Link versehen, der es ermöglicht, die konkrete Stellenanzeige abzurufen.

Auf die Stellenausschreibung vom 09.08.2019 hat sich der Kläger mit E-Mail vom 14.08.2019 unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung und unter Beifügung von Lebenslauf, Arbeitszeugnissen und Qualifikationsnachweisen beworben.

Auf Nachfrage des Klägers teilte die Beklagte dem Kläger im Rahmen zweier E-Mails vom 23.08. und 26.08.2019 mit, dass sein Qualifikationsprofil nicht hinreichend mit dem Anforderungsprofil der zu besetzenden Position übereinstimme.

Mit Schreiben vom 19.10.2019 hat der Kläger u. a. geltend gemacht, dass er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden sei und die Zahlung einer Entschädigung von zwei Monatsgehältern (€ 10.000,00) zur Vermeidung eines gerichtlichen Verfahrens angeboten. Nachdem die Beklagte ohne Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung lediglich eine Entschädigung von € 2.500,00 angeboten hatte, hat der Kläger eine Entschädigungsklage beim Arbeitsgericht Aachen eingereicht.

Das ArbG Aachen hat die Klage abgewiesen und entscheidend darauf abgestellt, dass die BA von der Stellenanzeige durch Einstellen in die Online-Jobbörse Kenntnis erlangt habe, wenn auch kein betreuter Vermittlungsauftrag erteilt worden sei.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung zum LAG Köln eingelegt.

Die Entscheidung

Das LAG Köln hat der Berufung stattgegeben, das Urteil des ArbG Aachen abgeändert und die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von € 7.500,00 verurteilt.

Die Beklagte habe weder gesondert geprüft, ob die ausgeschriebene Stelle mit einer schwerbehinderten Person besetzt werden konnte, noch habe sie frühzeitig in geeigneter Art und Weise Verbindung mit der BA aufgenommen und den freien Arbeitsplatz gemeldet (§ 164 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 SGB IX).

Die Meldepflicht solle gewährleisten, dass der Arbeitgeber von der BA Kenntnis über geeignete schwerbehinderte Bewerber für die freie Stelle erhält. Damit solle möglichst vielen geeigneten schwerbehinderten Menschen die Möglichkeit gegeben werden, Arbeit zu finden.

Die Verbindungsaufnahme mit der BA müsse sach- und zweckgerecht erfolgen. Es bedürfe der Angaben der Daten, die für einen qualifizierten Vermittlungsvorschlag seitens der BA erforderlich seien, wie etwa die Mitteilung der konkreten Stellenbeschreibung oder des Anforderungsprofils. Die BA oder der Integrationsfachdienst seien ihrerseits nach § 164 Abs. 1 Satz 3 SGB IX verpflichtet, auf der Basis des Anforderungsprofils bzw. der Stellenbeschreibung geeignete Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten.

Als Arbeitgeber können Sie hierzu entweder Ihre konkrete Betreuungsperson bei der BA informieren oder das Online-Portal der BA nutzen. Die bloße Weiterleitung einer Stellenausschreibung an die Online-Jobbörse der BA, ohne gesonderten Vermittlungsauftrag, sei jedoch unzureichend, da hierdurch nicht sichergestellt werde, dass die zuständige Vermittlungsperson der BA in geeigneter Art und Weise Kenntnis von dem freien Arbeitsplatz erlange und in die Lage versetzt werde, einen sachgerechten Vermittlungsvorschlag zu unterbreiten.

Da die Beklagte weder ihre Prüfpflicht noch ihre Mitteilungspflicht ordnungsgemäß erfüllt habe, sei die Vermutung einer Benachteiligung des Klägers wegen einer Behinderung gegeben. Diese Vermutung habe die Beklagte im Gerichtsverfahren nicht widerlegen können.

Das Wichtigste

Wenn Sie als privater Arbeitgeber Ihrer Prüf- und Melde- bzw. Kontaktaufnahmepflicht gem. § 164 Absatz 1 Sätze 1 und 2 SGB IX nicht nachgekommen sind, folgt hieraus die (in der Praxis häufig nicht zu widerlegende) Vermutung, dass Sie abgelehnte Bewerber wegen der Schwerbehinderung benachteiligt haben. Hieraus folgt wiederum die Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung gem. § 15 Absatz 2 AGG.

Die Veröffentlichung eines Stellenangebots über die Jobbörse der Bundesagentur reicht allein nicht aus, um der Prüf- und Meldepflicht gem. § 164 Absatz 1 Sätze 1 und 2 SGB IX nachzukommen.

Praxistipps

Als Arbeitgeber müssen Sie gemäß § 164 Abs. 1 S. 1 SGB IX stets prüfen, ob der freie Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann. Um dies tun zu können, muss bereits zuvor eine Arbeitsplatzbeschreibung erstellt werden.

Diese sollte beinhalten:

• Anforderungen des Arbeitsplatzes

• Tätigkeit mit Konzentrations-, Umstellungs- und Anpassungsvermögen, mit Verantwortung für Personen/Maschinen, Publikumsverkehr, Überwachung / Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge?

• Ist Tätigkeit mit ständigem Gehen / Stehen / Sitzen verbunden oder wechseln die Körperhaltungen? Gibt es eine Zwangshaltung?

• Gibt es besondere Belastungen? Lärm, Nässe, Kälte, Erschütterungen, schwankende Temperaturen, Allergenen, Staub, erhöhte Unfallgefahr?

• Schichtarbeit oder häufig wechselnde Arbeitszeiten?

• Tätigkeit mit Heben oder Tragen verbunden?

• Handelt es sich um eine körperlich leichte oder schwere Tätigkeit?

• Müssen die Hände in besonderer Weise gebraucht werden, ist häufiges Bücken erforderlich oder muss in der Höhe gearbeitet werden?

• Berufliche Qualifikation?

Sofern die Prüfung ergibt, dass der freie Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann, müssen Sie gemäß § 164 Abs. 1 S. 2 SGB IX bei der BA explizit nachfragen, ob diese schwerbehinderte Bewerber vermitteln kann.

Diese Anfrage sollte im Vorfeld jeder Stellenbesetzung bei der BA, d.h. möglichst ein bis zwei Wochen vor der internen oder externen Ausschreibung erfolgen. Dabei reicht ein einfacher Anruf nicht aus. Der Bundesagentur für Arbeit muss die Stellenausschreibung vorliegen.

Arbeitsrecht von A – Z – heute A wie Annahmeverzug

Auf vielfache Nachfrage starten wir heute eine neue Artikelserie, in der wir zentrale Begriffe im Arbeitsrecht beleuchten wollen.

Diese Begriffe haben erhebliche Auswirkung auf die tägliche Personalarbeit und auf die Urteile der Arbeitsgerichte, sind aber häufig wenig bekannt. Wir sind der festen Überzeugung, dass die Kenntnis dieser Grundlagen für eine taktisch geschickte und rechtlich sichere Personalarbeit extrem wichtig ist.

Heute beginnen wir mit dem Begriff des Annahmeverzuges und fragen zunächst:

Annahmeverzug – was ist das?

Die Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis sind bekanntermaßen die Leistung von Arbeit gegen die Zahlung von Vergütung. Dies sind allerdings nicht die einzigen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis. Unter anderem besteht auch die Pflicht für den Arbeitgeber, die vom Arbeitnehmer angebotene Arbeitsleistung auch anzunehmen.

Tut er dies nicht, so befindet der Arbeitgeber sich im Annahmeverzug (also im Verzug mit der Annahme der Arbeitsleistung) und er muss den Arbeitnehmer bezahlen, obwohl dieser tatsächlich gar nicht gearbeitet hat (§ 615 Satz 1 BGB).

Warum ist der Begriff so wichtig?

Es gibt im Wesentlichen zwei wichtige Folgen des Annahmeverzuges – das sogenannte Betriebsrisiko und die taktischen und tatsächlichen Folgen im Kündigungsschutzprozess.

Kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht beschäftigen, weil er z.B. keine Aufträge hat oder Rohstoffe nicht rechtzeitig geliefert wurden, so muss er den Arbeitnehmer dennoch bezahlen, er trägt das Betriebsrisiko (§ 615 S. 3 BGB). Abzugrenzen hiervon ist das sogenannte Wegerisiko, das der Arbeitnehmer trägt. Kann ein Arbeitnehmer z.B. wegen schlechter Witterung nicht zur Betriebsstätte kommen und seine Arbeit erbringen, verliert er seinen Vergütungsanspruch.

Von zentraler Bedeutung ist der Annahmeverzug im Kündigungsschutzprozess. Ist die ausgesprochene Kündigung unwirksam, so muss der Arbeitgeber (nach rechtskräftiger Entscheidung durch die Arbeitsgerichte) den Lohn auch nach Ablauf der Kündigungsfrist fortzahlen, obwohl der Arbeitnehmer tatsächlich keine Arbeitsleistung erbracht hat. Hier stehen sehr schnell 6 Gehälter oder mehr im Raum und dieses Risiko ist einer der häufigsten Gründe, warum es in Kündigungsschutzprozessen oft zu Vergleichen kommt. Mit dem Vergleich (und typischerweise mit der Zahlung einer Abfindung) kann der Arbeitgeber das manchmal unübersehbare und theoretisch unbegrenzte Risiko des Annahmeverzuges beseitigen.

Zwar besteht aufseiten des Arbeitnehmers eine Schadenminderungspflicht, dass heißt er muss sich darum kümmern, den Schaden des Arbeitgebers, der sich aus der möglichen Zahlung des Annahmeverzuges ergibt, möglichst gering zu halten, häufig stellt sich diese Pflicht aber als Papiertiger heraus.

Nach der Rechtsprechung des BAG reicht es bereits aus, sich beim Arbeitsamt arbeitslos zu melden, damit der Arbeitnehmer seiner Pflicht zur Minderung des Schadens nachkommt. Taktisch geschickte Arbeitnehmer verhindern dann, dass sie eine neue Arbeit finden, was ein stetiges Ansteigen des Risikos beim Arbeitgeber bewirkt und tendenziell zu einer deutlich höheren Abfindung führt.

Hier ist also taktisch geschicktes Verhalten auf Arbeitgeberseite gefragt, damit sich der Arbeitnehmer mit seinem Vorgehen nicht durchsetzen kann. Immerhin hat das BAG vor kurzem entscheiden, dass der Arbeitnehmer auf Nachfrage des Arbeitgebers verpflichtet ist, ihm alle Vermittlungsvorschläge vorzulegen, die er vom Arbeitsamt erhalten hat. Auch muss er mitteilen, ob er sich jeweils beworben hat und was das Ergebnis der Bewerbung war. Leider führt auch diese Pflicht oft nicht weiter z.B. wenn der Arbeitnehmer mit dem Arbeitsamt vereinbart hat, dass er sich selbst bewirbt und ihm das Arbeitsamt keine Vermittlungsvorschläge unterbreiten muss.

In solch einer Situation ist es extrem wichtig zusammen mit einem erfahrenen Fachanwalt für Arbeitsrecht eigene taktische und strategische Alternativen zu erarbeiten.

Arbeitskollegen auf der Toilette eingesperrt – Fristlose Kündigung?

In dieser Woche wollen wir mit Ihnen einen Ausflug in den Arbeitsalltag und das im besten Sinne ganz normale Arbeitsleben unternehmen.
Frei nach dem Motto „Geschichten, die das Leben so schreibt“ möchten wir Ihnen einen kuriosen Fall schildern, über den das Arbeitsgericht (ArbG) Siegburg mit Urteil vom 11.02.2021, 5 Ca 1397/20, zu entscheiden hatte.
Was war passiert?
Der Kläger war bei der Beklagten seit September 2019 als Lagerist beschäftigt. Mit seinem Kollegen im Lager geriet er des Öfteren in Streit. Während der Kollege des Klägers sich auf der Toilette befand, schob der Kläger heimlich unter der Toilettentür ein Papierblatt hindurch, stieß mit einem Gegenstand den Toilettenschlüssel aus dem Schloss, sodass dieser auf das Papierblatt fiel, und zog ihn damit heraus. Der Kläger ließ seinen Kollegen so lange auf der Toilette eingesperrt, bis dieser sich veranlasst sah, die Toilettentür aufzutreten.
Nachdem der Arbeitgeberin aufgefallen war, dass die Toilettentür im Lager beschädigt war, nahm sie Einzelgespräche mit dem Kläger und dessen zeitweise eingesperrten Kollegen vor. Letzterer ließ sich dahingehend ein, dass er vom Kläger auf der Toilette eingeschlossen wurde und sich nur durch das Eintreten der Tür befreien konnte.
Der Kläger erhielt deswegen am 18.06.2020 eine fristlose Kündigung. Hiergegen erhob er Kündigungsschutzklage.
Die Entscheidung
Mit Urteil vom 11.02.2021 wies das ArbG Siegburg die Klage ab. Der wichtige Kündigungsgrund lag nach Auffassung der Kammer darin, dass der Kläger seinen Kollegen auf der Toilette einschloss, indem er ihm durch einen Trick den Schlüssel zum Öffnen der Toilettentür wegnahm. Hierdurch habe der Kläger seinen Kollegen zumindest zeitweise seiner Freiheit und der ungehinderten Möglichkeit des Verlassens der Toilette beraubt. Dies stelle eine ganz erhebliche Pflichtverletzung dar.
Zudem sei durch das Verhalten des Klägers die Toilettentür, also das Eigentum der Beklagten beschädigt worden. Das Verhalten des eingesperrten Kollegen (Eintreten der Tür) sei dem Kläger als Veranlasser vollumfänglich zuzurechnen. Hätte der Kläger dem Kollegen den Schlüssel durch den Trick mit dem Papier nicht entwendet, hätte dieser die Toilette ganz normal verlassen und nicht die Tür eingetreten.
Eine vorherige Abmahnung sei in diesem Fall entbehrlich gewesen. Der Kläger durfte in keiner Weise davon ausgehen, dass die Beklagte es duldet, wenn er seinen Kollegen auf der Toilette einschließt und dort so lange eingeschlossen lässt, bis dieser die Tür eintritt, um die Toilette verlassen zu können. Davon, dass eine Arbeitgeberin ein entsprechendes Verhalten duldet bzw. lediglich zum Anlass einer Abmahnung nehmen wird, ist nicht auszugehen. Dies hätte dem Kläger während der Begehung der Pflichtverletzung bewusst sein müssen. Der Kläger entzog nicht nur seinem Arbeitskollegen die Möglichkeit, sich ungehindert von der Toilette zu entfernen, sondern sei darüber hinaus verantwortlich dafür, dass durch das Auftreten der Toilettentür das Eigentum der Beklagten beschädigt wurde.
Eine Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sei dem Arbeitgeber ebenfalls nicht zuzumuten. Zum Nachteil des Klägers sei zu berücksichtigen, dass er bei der Beklagten erst seit dem 01.09.2019 beschäftigt und zudem noch jung sei, so dass man davon auszugehen könne, dass er zeitnah einen neuen Arbeitsplatz finden werde. Zudem sei es zwischen ihm und dem eingesperrten Kollegen bereits vor dem streitgegenständlichen Vorfall zu diversen Streitigkeiten gekommen, wegen derer die beiden wiederholt zu ihrem Vorgesetzten mussten. Hinzukommend spräche gegen den Kläger, dass dieser den Vorfall der Beklagten nicht freiwillig meldete und den entstandenen Schaden nicht ersetzte.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden.
Das Wichtigste
Schließt ein Arbeitnehmer seinen Kollegen vorsätzlich in der Toilette ein, sodass dieser sich nur durch das Eintreten der Toilettentür befreien kann, begeht er dadurch eine schwere Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten. Eine fristlose Kündigung durch den Arbeitgeber ist dann gerechtfertigt.
Inwieweit es sich hierbei um eine Freiheitsberaubung im Sinne des § 239 StGB handelt, ist nicht streitentscheidend. Für die kündigungsrechtliche Würdigung kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Bedeutung der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung an, entscheidend ist die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses.
Praxistipp
In der Praxis sind bei Pflichtverletzungen von Mitarbeitern und der Frage, inwiefern ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund vorliegt, stets die Besonderheiten des Einzelfalles intensiv zu prüfen. Hierbei ist zunächst der jeweils zugrunde liegende Sachverhalt möglichst vollständig aufzuklären und zu dokumentieren. Sodann sind u.a. die Schwere, der Umfang, die Auswirkungen und die Intensität der konkreten Pflichtverletzung(en) sorgfältig zu ermitteln.
Falls Sie zu einer solchen Konstellation Fragen haben, sprechen Sie mich gerne an (jb@scharf-und-wolter.de).
Jens Buchwald
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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