LAG Köln: Beweis für den Zugang einer E-Mail – Beweiserleichterungen für den Absender?

Welche Besonderheiten gibt es beim Zugang einer E-Mail zu beachten? Kann sich der Absender einer E-Mail auf Beweiserleichterungen berufen (Beweis des ersten Anscheins)?

Wir berichten heute über eine aktuelle Entscheidung des LAG Köln vom 11.01.2022, 4 Sa 315/21 (Quelle: Pressemitteilung LAG Köln vom 21.02.2022), in welcher es um die praxisrelevante Frage geht, wer den Zugang einer E-Mail zu beweisen hat und ob hier dem Absender einer E-Mail Beweiserleichterungen zugutekommen.

Was war passiert?

In dem Rechtsstreit vor dem LAG Köln stritten die Parteien um die Verpflichtung des Klägers, ein ihm zur Finanzierung einer Fortbildung gewährtes Darlehen an die Beklagte zurückzuzahlen.

In dem Darlehensvertrag war geregelt, dass die Beklagte auf die Rückzahlung des Darlehens verzichtet, wenn sie aus betrieblichen Gründen dem Kläger nicht innerhalb von fünf Jahren nach Beendigung der Fortbildung die Übernahme in ein Arbeitsverhältnis anbietet.

Ob der Kläger eine E-Mail der Beklagten mit einem Beschäftigungsangebot als Anlage am letzten Tag der Frist erhalten hat, war streitig. Die Beklage verwies auf ihr Postausgangs- und Posteingangskonto, wonach die E-Mail verschickt worden sei und sie daraufhin keine Meldung der Unzustellbarkeit bekommen habe. Laut Kläger ging eine solche E-Mail erst drei Tage später bei ihm ein.

In dem hieraufhin vereinbarten Arbeitsverhältnis begann die Beklagte, vom Gehalt des Klägers monatlich jeweils 500 Euro als Darlehensrückzahlung einzubehalten. Sie war der Ansicht, dass dem Kläger rechtzeitig ein Arbeitsplatz aufgrund der E-Mail angeboten worden sei. Die Bedingung für den Verzicht auf die Rückzahlung sei nicht eingetreten. Sie könne sich hinsichtlich des fristgerechten Zugangs der E-Mail auf den Beweis des ersten Anscheins berufen.

Das Arbeitsgericht hat der Lohnzahlungsklage des Klägers stattgegeben.

Die Entscheidung

Die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten blieb erfolglos.

Der Zugang einer E-Mail sei vom Versender darzulegen und zu beweisen.
Zunächst einmal begründe die Absendung der E-Mail keinen Anscheinsbeweis für den Zugang beim Empfänger. Ob nach dem Versenden einer E-Mail die Nachricht auf dem Empfängerserver eingehe, sei nicht gewiss. Wie auch bei einfacher Post sei es technisch möglich, dass die Nachricht nicht ankomme.

Dieses Risiko könne nicht dem Empfänger aufgebürdet werden. Denn der Versender wähle die Art der Übermittlung der Willenserklärung und trage damit das Risiko, dass die Nachricht nicht ankommt. Um sicherzustellen, dass eine E-Mail den Adressaten erreicht hat, habe der Versender über die Optionsverwaltung eines E-Mail-Programms die Möglichkeit, eine Lesebestätigung anzufordern.

Das Wichtigste

Den Absender einer E-Mail trifft gemäß § 130 BGB die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die E-Mail dem Empfänger zugegangen ist. Ihm kommt nicht dadurch die Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises zugute, dass er nach dem Versenden keine Meldung über die Unzustellbarkeit der E-Mail erhält.

Die Absendung der E-Mail begründet ebenso wie die Vorlage eines Sendeprotokolls einer E-Mail keinen Anscheinsbeweis für den Zugang beim Empfänger.

Von einer Beweiserleichterung (Anscheinsbeweis) für den Zugang einer E-Mail ist vielmehr erst dann auszugehen, wenn eine Lesebestätigung des Empfängers vorgelegt werden kann.

Die Entscheidung zeigt anschaulich, dass das Thema „Zugang“ auch (oder gerade) in Zeiten der zunehmenden Digitalisierung ein Dauerbrenner bleibt bzw. bleiben wird.

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Arbeitsrecht 4.0: Die elektronische AU-Bescheinigung kommt (später)! Verpflichtender Starttermin für Arbeitgeber erneut verschoben – Wie soll der Nachweis einer Arbeitsunfähigkeit in Zukunft erfolgen?

Wenn Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkranken, müssen sie die Arbeitsunfähigkeit dem Arbeitgeber unverzüglich anzeigen, § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Dauert eine Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, haben Arbeitnehmer gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen.

Wir hatten Ihnen bereits im Jahre 2019 über das Dritte Bürokratieentlastungsgesetz (BEG III) berichtet, welches u.a. die für die Personalpraxis bedeutsame Einführung einer elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorsieht.

Ab dem 01.07.2022 sollte der Abruf der elektronischen AU-Bescheinigung ursprünglich für Sie als Arbeitgeber verpflichtend werden.

Im Rahmen des „Gesetzes zur Verlängerung von Sonderregelungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie beim Kurzarbeitergeld und anderer Leistungen“, welches am 18.02.2022 vom Bundestag beschlossen worden ist, wurde dieser verpflichtende Starttermin für Sie als Arbeitgeber nunmehr auf den 01.01.2023 verschoben.

Hintergrund der Verschiebung – Verlängerung der Erprobungsphase

Bedingt durch die Auswirkungen der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten Pandemie hat sich die Einführung der elektronischen Übertragung der Daten zur Arbeitsunfähigkeit von den Ärzten an die Krankenkassen erheblich verzögert, sodass zum bisher vorgesehenen Endzeitpunkt der Pilotphase am 1. Juli 2022 nicht bei allen Vertragsärzten die technischen Voraussetzungen für die Datenübertragung an die Krankenkassen gegeben sind. Um sicherzustellen, dass das Abrufverfahren durch die Arbeitgeber, das auf die Meldungen durch die Ärzte an die Krankenkassen angewiesen ist, reibungslos erprobt werden kann, ohne dass technische Probleme ggf. arbeitsrechtlich negative Auswirkungen für die Arbeitnehmer haben, soll die Pilotphase für das elektronische Abrufverfahren der Arbeitsunfähigkeitsdaten deshalb um sechs Monate bis zum 31. Dezember 2022 verlängert werden.

Ausblick: Was ändert sich ab 01.01.2023?

Kernstück der Gesetzesänderung ist zunächst die Neufassungen des § 109 Abs. 1 SGB IV. Die Krankenkasse hat danach eine Meldung zum elektronischen Abruf durch den Arbeitgeber zu erstellen, die die Arbeitsunfähigkeitsdaten (Name des Beschäftigten, Beginn und Ende der AU, das Datum der ärztlichen Feststellung der AU und Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung) beinhaltet.

Neuer Gesetzeswortlaut:

§ 109 SGB IV lautet ab 01.01.2023 wie folgt:

Meldung der Arbeitsunfähigkeits- und Vorerkrankungszeiten an den Arbeitgeber

(1) Die Krankenkasse hat nach Eingang der Arbeitsunfähigkeitsdaten nach § 295 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Fünften Buches eine Meldung zum Abruf für den Arbeitgeber zu erstellen, die insbesondere die folgenden Daten enthält:

1. den Namen des Beschäftigten,
2. den Beginn und das Ende der Arbeitsunfähigkeit,
3. das Datum der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und
4. die Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung.

In den Fällen, in denen die Krankenkasse die Arbeitsunfähigkeitsdaten nach § 295 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Fünften Buches für einen geringfügig beschäftigten Versicherten erhält, hat sie die Daten nach Satz 1 am Tag des Eingangs für die zuständige Einzugsstelle bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See zum Abruf bereitzustellen. Die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See hat nach Anforderung durch den Arbeitgeber diese Daten für den Arbeitgeber bei der zuständigen Krankenkasse abzurufen und unverzüglich an den Arbeitgeber weiterzuleiten. Beauftragt der Arbeitgeber einen Dritten mit dem Abruf, darf dieser die Daten verarbeiten. Unberührt bleibt die Verpflichtung des behandelnden Arztes, dem Versicherten eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit nach § 73 Absatz 2 Satz 1 Nummer 9 des Fünften Buches in Verbindung mit § 5 Absatz 1a Satz 2 des Entgeltfortzahlungsgesetzes auszuhändigen.

(2) Stellt die Krankenkasse auf Grundlage der Angaben zur Diagnose in den Arbeitsunfähigkeitsdaten nach § 295 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Fünften Buches und auf Grundlage von weiteren ihr vorliegenden Daten fest, dass die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wegen anrechenbarer Vorerkrankungszeiten für einen Arbeitgeber ausläuft, so übermittelt sie dem betroffenen Arbeitgeber eine Meldung mit den Angaben über die für ihn relevanten Vorerkrankungszeiten. Satz 1 gilt nicht für geringfügig Beschäftigte.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für Beschäftigte nach den §§ 8a und 12.

(4) Das Nähere zu den Datensätzen und zum Verfahren regelt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen in Grundsätzen. Die Grundsätze bedürfen der Genehmigung durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft; die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist vor der Genehmigung anzuhören.

Änderung des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG)

Nach § 5 Absatz 1 EFZG wird zum 01.01.2023 folgender Absatz 1a eingefügt:

(1a) Absatz 1 Satz 2 bis 5 gilt nicht für Arbeitnehmer, die Versicherte einer gesetzlichen Krankenkasse sind. Diese sind verpflichtet, zu den in Absatz 1 Satz 2 bis 4 genannten Zeitpunkten das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer feststellen und sich eine ärztliche Bescheinigung nach Absatz 1 Satz 2 oder 4 aushändigen zu lassen. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht

1. für Personen, die eine geringfügige Beschäftigung in Privathaushalten ausüben (§ 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch), und

2. in Fällen der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt, der nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt.

Zusammenfassung – Was ändert sich und was bleibt?

Insbesondere die in § 5 Absatz 1 Satz 2 EFZG geregelte Nachweispflicht wird für gesetzlich krankenversicherte Beschäftigte ab 01.01.2023 entfallen. Als Arbeitgeber erhalten Sie somit ab 01.01.2023 von gesetzlich krankenversicherten Beschäftigten grundsätzlich keinen gelben Schein in Papierform mehr.

Die Nachweispflicht in § 5 Absatz 1 Satz 2 EFZG bleibt hingegen bei privat krankenversicherten Beschäftigten uneingeschränkt bestehen.
Auch bei geringfügig Beschäftigten in Privathaushalten verbleibt es bei der vorbezeichneten Nachweispflicht. Auch wenn die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch Ärzte erfolgt, die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen (z.B. im Ausland ansässige Ärzte) verbleibt es bei der bisher geltenden Nachweispflicht.

Weiterhin bleibt die Anzeigepflicht in § 5 Absatz 1 Satz 1 EFZG durch die Neuregelungen unangetastet. Arbeitnehmer sind damit weiterhin verpflichtet, Ihnen als Arbeitgeber jede Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen.

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Fehler beim Recruiting vermeiden: AGG-Entschädigung für behinderten Bewerber wegen fehlender Meldung der offenen Stelle an die zuständige Arbeitsagentur?

Wir berichten heute über eine aktuelle, praxisrelevante Entscheidung des LAG Köln (Urteil vom 30.06.2021, 11 Ca 1172/20) zu einem Entschädigungsverfahren nach dem AGG.

Die Entscheidung zeigt aus unserer Sicht leider weit verbreitete arbeitgeberseitige Fehler im Rahmen von Stellenausschreibungen auf und gibt wichtige Hinweise für Arbeitgeber und Personalabteilungen, worauf im Rahmen von Stellenausschreibungen besonders geachtet werden sollte.

Was war passiert?

Der 1965 geborene schwerbehinderte Kläger ist promovierter Hochschulabsolvent im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften. Nach seiner Promotion im Jahre 1998 war er als Angestellter und Selbständiger u. a. in den Bereichen Consulting, Coaching und Projektbetreuung bzw. Projektleitung tätig, seit dem Jahre 2007 überwiegend in der Informationstechnik. Seit dem Mai 2019 ist der Kläger arbeitssuchend.

Die Beklagte – ein Unternehmen der IT-Dienstleistungsbranche mit über 4.000 Mitarbeitern – hat am 09.08.2019 eine Stellenausschreibung für die Position „(Senior) Agile Coach/Agilist (m/w/d)“ veröffentlicht.

Hinsichtlich der ausgeschriebenen Stelle hat die Beklagte der Bundesagentur für Arbeit (BA) keinen Vermittlungsauftrag erteilt, auch bestand kein Kooperationsvertrag mit der BA. Die Stellenanzeige gelangte über einen beauftragten privaten Dienstleister automatisch an die Online-Jobbörse der BA. Dort sind die Stellen unter Angabe des Titels des Stellenangebots, Veröffentlichungsdatum, Arbeitgeber, Arbeitsort und Entfernung zum Arbeitsort hinterlegt und mit einem Link versehen, der es ermöglicht, die konkrete Stellenanzeige abzurufen.

Auf die Stellenausschreibung vom 09.08.2019 hat sich der Kläger mit E-Mail vom 14.08.2019 unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung und unter Beifügung von Lebenslauf, Arbeitszeugnissen und Qualifikationsnachweisen beworben.

Auf Nachfrage des Klägers teilte die Beklagte dem Kläger im Rahmen zweier E-Mails vom 23.08. und 26.08.2019 mit, dass sein Qualifikationsprofil nicht hinreichend mit dem Anforderungsprofil der zu besetzenden Position übereinstimme.

Mit Schreiben vom 19.10.2019 hat der Kläger u. a. geltend gemacht, dass er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden sei und die Zahlung einer Entschädigung von zwei Monatsgehältern (€ 10.000,00) zur Vermeidung eines gerichtlichen Verfahrens angeboten. Nachdem die Beklagte ohne Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung lediglich eine Entschädigung von € 2.500,00 angeboten hatte, hat der Kläger eine Entschädigungsklage beim Arbeitsgericht Aachen eingereicht.

Das ArbG Aachen hat die Klage abgewiesen und entscheidend darauf abgestellt, dass die BA von der Stellenanzeige durch Einstellen in die Online-Jobbörse Kenntnis erlangt habe, wenn auch kein betreuter Vermittlungsauftrag erteilt worden sei.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung zum LAG Köln eingelegt.

Die Entscheidung

Das LAG Köln hat der Berufung stattgegeben, das Urteil des ArbG Aachen abgeändert und die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von € 7.500,00 verurteilt.

Die Beklagte habe weder gesondert geprüft, ob die ausgeschriebene Stelle mit einer schwerbehinderten Person besetzt werden konnte, noch habe sie frühzeitig in geeigneter Art und Weise Verbindung mit der BA aufgenommen und den freien Arbeitsplatz gemeldet (§ 164 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 SGB IX).

Die Meldepflicht solle gewährleisten, dass der Arbeitgeber von der BA Kenntnis über geeignete schwerbehinderte Bewerber für die freie Stelle erhält. Damit solle möglichst vielen geeigneten schwerbehinderten Menschen die Möglichkeit gegeben werden, Arbeit zu finden.

Die Verbindungsaufnahme mit der BA müsse sach- und zweckgerecht erfolgen. Es bedürfe der Angaben der Daten, die für einen qualifizierten Vermittlungsvorschlag seitens der BA erforderlich seien, wie etwa die Mitteilung der konkreten Stellenbeschreibung oder des Anforderungsprofils. Die BA oder der Integrationsfachdienst seien ihrerseits nach § 164 Abs. 1 Satz 3 SGB IX verpflichtet, auf der Basis des Anforderungsprofils bzw. der Stellenbeschreibung geeignete Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten.

Als Arbeitgeber können Sie hierzu entweder Ihre konkrete Betreuungsperson bei der BA informieren oder das Online-Portal der BA nutzen. Die bloße Weiterleitung einer Stellenausschreibung an die Online-Jobbörse der BA, ohne gesonderten Vermittlungsauftrag, sei jedoch unzureichend, da hierdurch nicht sichergestellt werde, dass die zuständige Vermittlungsperson der BA in geeigneter Art und Weise Kenntnis von dem freien Arbeitsplatz erlange und in die Lage versetzt werde, einen sachgerechten Vermittlungsvorschlag zu unterbreiten.

Da die Beklagte weder ihre Prüfpflicht noch ihre Mitteilungspflicht ordnungsgemäß erfüllt habe, sei die Vermutung einer Benachteiligung des Klägers wegen einer Behinderung gegeben. Diese Vermutung habe die Beklagte im Gerichtsverfahren nicht widerlegen können.

Das Wichtigste

Wenn Sie als privater Arbeitgeber Ihrer Prüf- und Melde- bzw. Kontaktaufnahmepflicht gem. § 164 Absatz 1 Sätze 1 und 2 SGB IX nicht nachgekommen sind, folgt hieraus die (in der Praxis häufig nicht zu widerlegende) Vermutung, dass Sie abgelehnte Bewerber wegen der Schwerbehinderung benachteiligt haben. Hieraus folgt wiederum die Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung gem. § 15 Absatz 2 AGG.

Die Veröffentlichung eines Stellenangebots über die Jobbörse der Bundesagentur reicht allein nicht aus, um der Prüf- und Meldepflicht gem. § 164 Absatz 1 Sätze 1 und 2 SGB IX nachzukommen.

Praxistipps

Als Arbeitgeber müssen Sie gemäß § 164 Abs. 1 S. 1 SGB IX stets prüfen, ob der freie Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann. Um dies tun zu können, muss bereits zuvor eine Arbeitsplatzbeschreibung erstellt werden.

Diese sollte beinhalten:

• Anforderungen des Arbeitsplatzes

• Tätigkeit mit Konzentrations-, Umstellungs- und Anpassungsvermögen, mit Verantwortung für Personen/Maschinen, Publikumsverkehr, Überwachung / Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge?

• Ist Tätigkeit mit ständigem Gehen / Stehen / Sitzen verbunden oder wechseln die Körperhaltungen? Gibt es eine Zwangshaltung?

• Gibt es besondere Belastungen? Lärm, Nässe, Kälte, Erschütterungen, schwankende Temperaturen, Allergenen, Staub, erhöhte Unfallgefahr?

• Schichtarbeit oder häufig wechselnde Arbeitszeiten?

• Tätigkeit mit Heben oder Tragen verbunden?

• Handelt es sich um eine körperlich leichte oder schwere Tätigkeit?

• Müssen die Hände in besonderer Weise gebraucht werden, ist häufiges Bücken erforderlich oder muss in der Höhe gearbeitet werden?

• Berufliche Qualifikation?

Sofern die Prüfung ergibt, dass der freie Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann, müssen Sie gemäß § 164 Abs. 1 S. 2 SGB IX bei der BA explizit nachfragen, ob diese schwerbehinderte Bewerber vermitteln kann.

Diese Anfrage sollte im Vorfeld jeder Stellenbesetzung bei der BA, d.h. möglichst ein bis zwei Wochen vor der internen oder externen Ausschreibung erfolgen. Dabei reicht ein einfacher Anruf nicht aus. Der Bundesagentur für Arbeit muss die Stellenausschreibung vorliegen.

Arbeitskollegen auf der Toilette eingesperrt – Fristlose Kündigung?

In dieser Woche wollen wir mit Ihnen einen Ausflug in den Arbeitsalltag und das im besten Sinne ganz normale Arbeitsleben unternehmen.
Frei nach dem Motto „Geschichten, die das Leben so schreibt“ möchten wir Ihnen einen kuriosen Fall schildern, über den das Arbeitsgericht (ArbG) Siegburg mit Urteil vom 11.02.2021, 5 Ca 1397/20, zu entscheiden hatte.
Was war passiert?
Der Kläger war bei der Beklagten seit September 2019 als Lagerist beschäftigt. Mit seinem Kollegen im Lager geriet er des Öfteren in Streit. Während der Kollege des Klägers sich auf der Toilette befand, schob der Kläger heimlich unter der Toilettentür ein Papierblatt hindurch, stieß mit einem Gegenstand den Toilettenschlüssel aus dem Schloss, sodass dieser auf das Papierblatt fiel, und zog ihn damit heraus. Der Kläger ließ seinen Kollegen so lange auf der Toilette eingesperrt, bis dieser sich veranlasst sah, die Toilettentür aufzutreten.
Nachdem der Arbeitgeberin aufgefallen war, dass die Toilettentür im Lager beschädigt war, nahm sie Einzelgespräche mit dem Kläger und dessen zeitweise eingesperrten Kollegen vor. Letzterer ließ sich dahingehend ein, dass er vom Kläger auf der Toilette eingeschlossen wurde und sich nur durch das Eintreten der Tür befreien konnte.
Der Kläger erhielt deswegen am 18.06.2020 eine fristlose Kündigung. Hiergegen erhob er Kündigungsschutzklage.
Die Entscheidung
Mit Urteil vom 11.02.2021 wies das ArbG Siegburg die Klage ab. Der wichtige Kündigungsgrund lag nach Auffassung der Kammer darin, dass der Kläger seinen Kollegen auf der Toilette einschloss, indem er ihm durch einen Trick den Schlüssel zum Öffnen der Toilettentür wegnahm. Hierdurch habe der Kläger seinen Kollegen zumindest zeitweise seiner Freiheit und der ungehinderten Möglichkeit des Verlassens der Toilette beraubt. Dies stelle eine ganz erhebliche Pflichtverletzung dar.
Zudem sei durch das Verhalten des Klägers die Toilettentür, also das Eigentum der Beklagten beschädigt worden. Das Verhalten des eingesperrten Kollegen (Eintreten der Tür) sei dem Kläger als Veranlasser vollumfänglich zuzurechnen. Hätte der Kläger dem Kollegen den Schlüssel durch den Trick mit dem Papier nicht entwendet, hätte dieser die Toilette ganz normal verlassen und nicht die Tür eingetreten.
Eine vorherige Abmahnung sei in diesem Fall entbehrlich gewesen. Der Kläger durfte in keiner Weise davon ausgehen, dass die Beklagte es duldet, wenn er seinen Kollegen auf der Toilette einschließt und dort so lange eingeschlossen lässt, bis dieser die Tür eintritt, um die Toilette verlassen zu können. Davon, dass eine Arbeitgeberin ein entsprechendes Verhalten duldet bzw. lediglich zum Anlass einer Abmahnung nehmen wird, ist nicht auszugehen. Dies hätte dem Kläger während der Begehung der Pflichtverletzung bewusst sein müssen. Der Kläger entzog nicht nur seinem Arbeitskollegen die Möglichkeit, sich ungehindert von der Toilette zu entfernen, sondern sei darüber hinaus verantwortlich dafür, dass durch das Auftreten der Toilettentür das Eigentum der Beklagten beschädigt wurde.
Eine Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sei dem Arbeitgeber ebenfalls nicht zuzumuten. Zum Nachteil des Klägers sei zu berücksichtigen, dass er bei der Beklagten erst seit dem 01.09.2019 beschäftigt und zudem noch jung sei, so dass man davon auszugehen könne, dass er zeitnah einen neuen Arbeitsplatz finden werde. Zudem sei es zwischen ihm und dem eingesperrten Kollegen bereits vor dem streitgegenständlichen Vorfall zu diversen Streitigkeiten gekommen, wegen derer die beiden wiederholt zu ihrem Vorgesetzten mussten. Hinzukommend spräche gegen den Kläger, dass dieser den Vorfall der Beklagten nicht freiwillig meldete und den entstandenen Schaden nicht ersetzte.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden.
Das Wichtigste
Schließt ein Arbeitnehmer seinen Kollegen vorsätzlich in der Toilette ein, sodass dieser sich nur durch das Eintreten der Toilettentür befreien kann, begeht er dadurch eine schwere Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten. Eine fristlose Kündigung durch den Arbeitgeber ist dann gerechtfertigt.
Inwieweit es sich hierbei um eine Freiheitsberaubung im Sinne des § 239 StGB handelt, ist nicht streitentscheidend. Für die kündigungsrechtliche Würdigung kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Bedeutung der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung an, entscheidend ist die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses.
Praxistipp
In der Praxis sind bei Pflichtverletzungen von Mitarbeitern und der Frage, inwiefern ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund vorliegt, stets die Besonderheiten des Einzelfalles intensiv zu prüfen. Hierbei ist zunächst der jeweils zugrunde liegende Sachverhalt möglichst vollständig aufzuklären und zu dokumentieren. Sodann sind u.a. die Schwere, der Umfang, die Auswirkungen und die Intensität der konkreten Pflichtverletzung(en) sorgfältig zu ermitteln.
Falls Sie zu einer solchen Konstellation Fragen haben, sprechen Sie mich gerne an (jb@scharf-und-wolter.de).
Jens Buchwald
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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Entwendung von einem Liter Desinfektionsmittel – Fristlose Kündigung?

In dieser Woche möchten wir Ihnen erneut einen Fall aus dem ganz normalen Arbeitsalltag vorstellen. Die Corona-Pandemie bestimmt seit nunmehr über einem Jahr unser aller Leben und macht selbstverständlich auch vor dem Arbeitsleben nicht Halt. Insofern ist es kein Zufall, dass auch die Arbeitsgerichte immer mehr Fälle erreichen, die im Zusammenhang mit unterschiedlichen Ausprägungen der Corona-Pandemie stehen.
Eine Folge des ersten Lockdowns war unter anderem die Verknappung von Lebensmitteln wie Nudeln oder Mehl sowie von alltäglichen Hygieneartikeln wie Toilettenpapier und Desinfektionsmitteln.
Das LAG Düsseldorf hatte sich in einem aktuellen Urteil vom 14.01.2021 – 5 Sa 483/20 – mit der Konstellation auseinanderzusetzen, in der sich ein Arbeitnehmer aus einem Vorrat des Arbeitgebers an Hygieneartikeln „bedient“ und eine Flasche mit Desinfektionsmittel entwendet hatte.
Was war passiert?
Der Kläger war seit dem Jahr 2004 bei einem Paketzustellunternehmen, der Beklagten, als Be- und Entlader sowie Wäscher für die Fahrzeuge beschäftigt. Die Wäsche der Wagen erfolgte in Nachtschicht mit sechs bis sieben Kollegen, wobei der Kläger seinen Wagen in der Nähe des Arbeitsplatzes abstellen konnte. Bei der stichprobenartigen Ausfahrtkontrolle am 23.03.2020 gegen 07.50 Uhr fand der Werkschutz im Kofferraum des Klägers eine nicht angebrochene Plastikflasche mit einem Liter Desinfektionsmittel und eine Handtuchrolle. Der Wert des Desinfektionsmittels betrug zum damaligen Zeitpunkt ca. 40,00 Euro. Es kam damals bei der Beklagten immer wieder vor, dass Desinfektionsmittel aus den Waschräumen entwendet wurde. Der Personalausschuss des Betriebsrats stimmte am 24.03.2020 der fristlosen Kündigung des Klägers nach Befragung von Zeugen abschließend zu, welche die Beklagte am 25.03.2020 aussprach.
Gegen diese Kündigung wendete sich der Kläger mit seiner Klage. Er habe sich während der Arbeit jede Stunde zu seinem Fahrzeug begeben, um die Hände zu desinfizieren und abzutrocknen. Er habe das Mittel für sich und eventuell seine Kollegen verwenden wollen, zumal dieses in den Waschräumen nicht immer verfügbar gewesen sei. Bei der Ausfahrt habe er an die Sachen im Kofferraum nicht mehr gedacht. Er müsse kein Desinfektionsmittel stehlen, weil seine Frau in der Pflege arbeite und die Familie über sie ausreichend versorgt sei. Die Arbeitgeberin hat behauptet, dass der Kläger dem Werkschutz gesagt habe, dass er das Desinfektionsmittel habe mitnehmen dürfen, um sich unterwegs die Hände zu desinfizieren. Sie habe mit Aushängen im Sanitärbereich darauf hingewiesen, dass das Mitnehmen von Desinfektionsmitteln eine fristlose Kündigung und Anzeige zur Folge habe.
Die Entscheidung
Die 5. Kammer des LAG hat – wie bereits das ArbG Mönchengladbach – die Kündigungsschutzklage abgewiesen.
Es liege ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vor. Die Einlassungen des Klägers seien nicht glaubhaft. Die Kammer geht davon aus, dass der Kläger sich das Desinfektionsmittel zugeignet habe, um es selbst zu verbrauchen. Wenn er es während der Schicht habe benutzen wollen, hätte es nahe gelegen, das Desinfektionsmittel auf den Materialwagen am Arbeitsplatz zu stellen, zumal in der Nacht nur sechs bis sieben Kollegen arbeiteten.
Es sei zudem nicht nachvollziehbar, dass er das Desinfektionsmittel auch für die Kollegen verwenden wollte, denn weder hatte er ihnen gesagt, wo er das Desinfektionsmittel aufbewahrt noch ihnen den Autoschlüssel gegeben, damit sie es benutzen können. Schließlich war die aufgefundene Flasche nicht angebrochen.
Auch in Ansehung der langen Beschäftigungszeit war keine vorherige Abmahnung erforderlich. Der Kläger habe in einer Zeit der Pandemie, als Desinfektionsmittel Mangelware war und in Kenntnis davon, dass auch die Beklagte mit Versorgungsengpässen zu kämpfen hatte, eine nicht geringe Menge Desinfektionsmittel entwendet. Damit habe er zugleich in Kauf genommen, dass seine Kollegen leer ausgingen. In Ansehung dieser Umstände musste ihm klar sein, dass er mit der Entwendung von einem Liter Desinfektionsmittel den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährdete. Auch die Interessenabwägung fiel angesichts dieser Umstände zu Lasten des Klägers aus.
Das Wichtigste
Der Diebstahl pandemiebedingter Mangelware wie im vorliegenden Fall eines Liters Desinfektionsmittel kann jedenfalls in Corona-Zeiten eine fristlose Kündigung rechtfertigen.
Praxistipps / Rechtliche Einordnung
Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen nach ständiger Rechtsprechung des BAG – unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens – als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht. Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche – ggf. strafbare – Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen.
Bei der Prüfung, ob Ihnen als Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung Ihr arbeitgeberseitiges Interesse an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung – etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf.
Inwiefern der Diebstahl eines Liters Desinfektionsmittel auch ohne die Besonderheiten der Corona-Pandemie und des vorliegenden Einzelfalles eine fristlose Kündigung gerechtfertigt hätte, bleibt somit offen.
Falls Sie hierzu Fragen haben, sprechen Sie mich gerne an (jb@scharf-und-wolter.de).
Jens Buchwald
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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