Die Druckkündigung – Was ist das und wie geht das?

Wir berichten heute über ein aktuelles Urteil des ArbG Nordhausen (Urteil vom 13. Juli 2022, 2 Ca 199/22, zitiert nach juris), welches sich mit dem praxisrelevanten Thema der Druckkündigung ausführlich auseinandersetzt. Das Urteil basiert auf einem typischen Sachverhalt aus dem Arbeitsleben und gibt wichtige Hinweise für die Personalpraxis, welche Vorgaben insofern zu beachten sind.
Hintergrund: Druckkündigung? Was ist das eigentlich?

Eine Druckkündigung liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn Dritte unter Androhung von Nachteilen für den Arbeitgeber von diesem die Entlassung eines bestimmten Arbeitnehmers verlangen.

Der Sachverhalt – Was war passiert?

Die Klägerin steht seit dem 01.05.2002 in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten und war hierbei zunächst als Heilpädagogin, sodann als Erzieherin und zuletzt seit 2017 als Leiterin einer Kindertageseinrichtung (Kita) tätig.
Im September 2021 beschwerten sich Mitarbeiter/innen beim Bürgermeister der Beklagten hinsichtlich des Führungsstils der Klägerin und des Umganges mit den Mitarbeiter/innen. Gegenstand der Beschwerden waren u.a., dass die Klägerin zu spät komme, sich nicht an Arbeitszeiten halte, keine Arbeitszeitnachweise führen und private Dinge während der Arbeit erledigen würde; beim Urlaub bestünde die Klägerin auf starre Urlaubsplanung, würde sich selbst aber nicht daran halte. Ebenso beschwerten sich die Mitarbeiter/innen, dass die Klägerin sie ohne Respekt und von oben herabbehandeln würde, keine Selbstreflexion hinsichtlich eigener Fehler habe, Anrufe bei kranken Kolleg/innen zu Hause tätigen würde und Vorschläge der Mitarbeiter/innen generell abgelehnt würden und dass die Mitarbeiter/innen grundsätzlich ohne dienstliche Notwendigkeit Minusstunden leisten müssten und das Zurückführen der Minusstunden durch die Klägerin erschwert würde.
Am 22.09.2021 fand zwischen den Beteiligten ein Gespräch statt. Gegenstand des Gespräches waren insbesondere die Minusstunden der Mitarbeiter/innen und die Nichterbringung von Gruppenarbeit durch die Klägerin. Am 11.11.2021 gab es einen Team-Workshop. Ziel des Workshops war die Erarbeitung einer Struktur und Regeln für die künftige Zusammenarbeit.
Sodann fand am 17.01.2022 ein Mediationstermin statt, der nach einer halben Stunde abgebrochen wurde. Die Klägerin erkrankte ab dem 18.01.2022 arbeitsunfähig. Während der andauernden Arbeitsunfähigkeit der Klägerin stellte die Beklagte die Klägerin unter Fortbezahlung der Vergütung frei.
Die Beklagte entwarf im Folgenden einen Fragebogen für sämtliche Mitarbeiter/innen der Kita. Der Fragebogen beinhaltete folgende Fragen:
„(…)
In Anbetracht der vorangegangenen Konflikte möchten wir Sie bitten, das Fehlverhalten von Frau … zu benennen.
Wir bitten Sie aufzuführen, ob Sie sich eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Frau …. vorstellen können. Bitte begründen Sie Ihre Entscheidung.
Können Sie sich vorstellen, Frau …. beim Abstellen von Fehlern in der Einrichtungsleitung zu unterstützen?
Was würde es für Sie und Ihre berufliche Zukunft bedeuten, wenn Frau …. erneut die Möglichkeit bekommen würde, Mängel in der Einrichtungsleitung abzustellen?
Hiermit versichern wird Ihnen, dass wir Ihre Angaben vertraulich behandeln.
(…).““
Die Auswertung der Fragebögen habe folgendes Bild ergeben:
Acht Mitarbeiter/innen hätten bekundet, dass das Verhältnis zwischen der Klägerin und ihnen extrem gestört sei und sie mit dieser nicht mehr zusammenarbeiten wollten. Eine Mitarbeiterin habe ausgeführt, dass sie bei einem Verbleib der Klägerin ein Wiederaufleben ihrer Erkrankung befürchte, sie aber versuchen würde ihre Arbeit zu machen. Neun Mitarbeiter/innen hätten von einem extrem gestörten Verhältnis zur Klägerin berichtet, sodass die Zusammenarbeit nicht mehr tragbar sei. Von diesen neun Mitarbeiter/innen hätten acht angegeben, für den Fall, dass die Klägerin in der Einrichtung verbleibe, eine Eigenkündigung einzureichen.
Der Beklagten drohten aus ihrer Sicht durch die angedrohten Kündigungen erhebliche Schäden, da sie im Falle der Kündigung von mehr als acht Arbeitnehmer/innen nicht mehr in der Lage sei, den gesetzlichen Anspruch der Bürger auf eine Kinderbetreuung ab dem vollendeten 1. Lebensjahr bis zum Schuleintritt, zu gewährleisten.
Eine Versetzung der Klägerin in eine andere Einrichtung sei nicht möglich, da die Leiterinnenstellen in anderen Kitas nicht gleich bewertet seien. Eine Verhaltensänderung wäre nicht zu erwarten, wie die erfolglose Durchführung von Supervisionen, Gesprächen, Mediationsverfahren gezeigt hätten.
Mit Schreiben vom 14.03.2022 kündigte die Beklagte sodann das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt.

Die Entscheidung

Die von der Klägerin hiergegen eingelegte Kündigungsschutzklage war erfolgreich.
Insbesondere seien die Voraussetzungen einer echten Druckkündigung vorliegend nicht gegeben.
Die Beklagte habe keinen Versuch unternommen, sich nach den Eigenkündigungsdrohungen schützend vor die Klägerin zu stellen.
Das Gegenteil sei der Fall: Nachdem das Mediationsgespräch am 17.01.2022 abgebrochen werden musste und anschließend Mitarbeiter/innen Eigenkündigungen angedroht haben sollen, habe die Beklagte eine suggestive Fragen beinhaltende Umfrage mit sämtlichen Mitarbeiter/innen durchgeführt.
Aus Sicht der Kammer sei nicht auszuschließen, dass Mitarbeiter/innen erst und nur durch den anonymisierten Fragebogen motiviert wurden, eine Eigenkündigung für den Fall des Verbleibs der Klägerin, anzukündigen, da die Beklagte explizit fragte, was es für die berufliche Zukunft des Mitarbeiters bedeuten würde, wenn die Klägerin die Möglichkeit bekäme, Mängel als Einrichtungsleiterin zu beseitigen, mithin in der Einrichtung verbleiben würde.
Jedenfalls habe sich die Beklagte weder nach den von ihr behaupteten mündlichen Eigenkündigungsdrohungen nach dem 17.01.2022 noch nach der Frageaktion schützend vor die Klägerin gestellt. Auch die durchgeführten Supervisionen, Gespräche, Mediationen führten zu keiner anderen rechtlichen Bewertung.
Die Maßnahmen erfolgten alle, bevor es konkrete Eigenkündigungsandrohungen für den Fall des Verbleibs der Klägerin gab. Die Maßnahmen könnten damit nicht gleichgesetzt werden mit dem von der Rechtsprechung geforderten „schützend vor den Arbeitnehmer“ stellen nach erfolgten Drohungen.
Denn erst ab Ausspruch der Eigenkündigungsdrohungen könne dem Grunde nach eine innerbetriebliche Ursache bestanden haben, die die Kündigung als Kündigungsgrund hätten rechtfertigen können.
Weiterhin hätte die Beklagte aus Sicht des Gerichtes vorrangig zu milderen Mitteln greifen müssen. Selbst wenn eine Versetzung der Klägerin als Kitaleiterin in eine andere Einrichtung rechtlich nicht möglich sein sollte, so hätte die Beklagte als milderes Mittel gegenüber der außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Beendigungskündigung eine Änderungskündigung aussprechen können. Dies gelte auch, wenn man die Befürchtung der Beklagten, die Klägerin könne aufgrund ihres Führungsstils auch in anderen Einrichtungen nicht als Kita-Leiterin arbeiten, als richtig unterstellt. Denn in diesem Fall hätte die Möglichkeit einer Änderungskündigung, mit dem Ziel die Klägerin wieder als Erzieherin einzusetzen, bestanden, insbesondere da die Klägerin zuvor über 15 Jahre als Heilpädagogin und sodann Erzieherin für die Beklagte tätig war und die Probleme erst entstanden sein sollen, nachdem die Klägerin Kita-Leiterin wurde.

Das Wichtigste

Im Fall einer sog. echten Druckkündigung aufgrund Eigenkündigungsandrohungen einer Vielzahl von Mitarbeiter/innen haben Sie sich als Arbeitgeber grundsätzlich auch dann schützend vor den Arbeitnehmer zu stellen und zu versuchen die Drohung abzuwenden, wenn es zeitlich vor den Eigenkündigungsandrohungen Gespräche und Mediationen wegen eines Konflikts mit dem betroffenen Arbeitnehmer gegeben hat.

Praxistipps

Eine Druckkündigung stellt kein Allheilmittel dar, kann jedoch in bestimmten Situationen und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine wichtige arbeitgeberseitige Gestaltungsoption in schwierigen, festgefahrenen Situationen dar.

Checkliste (entsprechend der Rechtsprechung des BAG)

• Stets haben Sie sich als Arbeitgeber zunächst aktiv schützend vor den von Dritten angegriffenen Arbeitnehmer zu stellen.
• Bei Streitigkeiten unter Kollegen sollten Sie zunächst Vermittlungsgespräche führen und sodann ggf. eine Konfliktlösung durch Mediation versuchen.
• Bei Schlechtleistung des Arbeitnehmers kommt ein die Arbeitsprozesse begleitendes Coaching (z.B. wöchentliche Dokumentation von Verbesserungsvorschlägen und deren Zielerreichung) in Betracht.
• Bei Arbeitsniederlegungen oder Streikandrohungen der drohenden Mitarbeiter müssten Sie die Belegschaft auf die damit einhergehende Verletzung arbeitsvertraglicher Hauptleistungspflichten hinweisen und gegen die drohenden Mitarbeiter konkrete Disziplinarmaßnahmen wie Abmahnung und/oder Kürzung der Vergütung für die Zeit der Arbeitsniederlegung androhen und ggf. einleiten.
• Falls das ohne Erfolg bleibt, ist an eine Versetzung des „störenden“ Arbeitnehmers zu denken, sofern die Arbeitsplatzzuweisung vom Weisungsrecht gedeckt ist.
• Alternativ kommt eine Änderungskündigung in Betracht, sofern Zweifel am Umfang des Weisungsrechts bestehen oder auch nur ein nicht vom Weisungsrecht gedeckter Arbeitsplatz frei wäre.
• Erst auf der nächsten „Eskalationsstufe“ wäre eine ordentliche Kündigung denkbar, wenn bei einer Weiterbeschäftigung des „störenden“ Arbeitnehmers schwere wirtschaftliche Nachteile drohen.
• Nur in Ausnahmefällen kann eine Drucksituation eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.

Weitere Informationen zum Thema Arbeitsrecht Hamburg erhält man auch unter https://scharf-und-wolter.de/fachanwalt-hamburg/fachanwalt-arbeitsrecht/ sowie unter Anwalt Hamburg

Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall als taktisches Mittel des Arbeitgebers

Sie kennen das wahrscheinlich alle – ein Arbeitnehmer meldet sich krank (schon wieder) und Sie haben erhebliche Zweifel, ob tatsächlich eine Erkrankung vorliegt. Hinzu kommt, dass der Arbeitnehmer praktischerweise (für ihn) immer wieder neue Erstbescheinigungen vorlegt, sodass Sie im laufenden Jahr schon deutlich mehr als 6 Wochen gezahlt haben. Sie fühlen sich hilflos und wissen nicht, was sie machen sollen.

Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) hilft hier in der Regel nicht, die AU-Bescheinigung ist der volle Beweis dafür, dass der Arbeitnehmer krank ist und eine Kündigung ist in dieser Situation zumindest ambitioniert. Was jetzt?
Wir haben in solchen Situationen schon vielen Arbeitgebern weiter geholfen, indem wir ihnen geraten haben, die Entgeltfortzahlung einzustellen. Wir beziehen uns dabei auf die ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (Urteil v. 31. März 2021 – 5 AZR 197/20), welche jetzt vom Landesarbeitsgericht Hessen (Urteil v. 14.01.2022 – 10 SA 898/21) noch einmal bestätigt wurde.

Der Fall

Ein Arbeitnehmer wies erhebliche Krankheitszeiten auf. So war er z.B. in dem Zeitraum ab dem 24. August 2019 bis zum 30. Dezember 2019 an 68 Kalendertagen, in dem Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis 18. August 2020 an 42 Kalendertagen arbeitsunfähig erkrankt.
Am 18. August 2020 legte er nun eine weitere Erstbescheinigung vor und verlange Entgeltfortzahlung. Der Arbeitgeber hatte jedoch Zweifel, dass eine neue Erkrankung vorlag und verweigerte daher die Entgeltfortzahlung, sodass der Arbeitnehmer Zahlungsklage beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main erhob. Der Arbeitgeber trug vor dem Gericht vor, dass er aus seiner Sicht nicht verpflichtet sei Entgeltfortzahlung zu leisten, da der Entgeltfortzahlungszeitraum von 6 Wochen bereits überschritten sei. Weiterhin forderte er den Arbeitnehmer auf die Diagnosen der einzelnen Erkrankungen vorzutragen, damit geklärt werden kann, ob tatsächlich neue Erkrankungen vorliegen oder nicht.
Der Arbeitnehmer vertrat die Meinung, er müsse die Diagnosen aus Gründen des Datenschutzes nicht mitzuteilen und gab nur zu einzelnen von ihm ausgewählten Krankheitszeiträumen die Diagnose an.
Das Arbeitsgericht gab der Zahlungsklage des Arbeitnehmers in vollem Umfang statt. Es vertrat die Meinung, der Arbeitgeber hätte zunächst konkrete Tatsachen vortragen müssen, aus denen sich ergibt, dass der 6-Wochen-Zeitraum ausgeschöpft sei; erst dann sei der Arbeitnehmer verpflichtet seinerseits Diagnosen offenzulegen. Hiergegen wandte sich der Arbeitgeber mit seiner Berufung zum Landesarbeitsgericht Hessen.

Die Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht hat zugunsten des Arbeitgebers entschieden und die Zahlungsklage des Arbeitnehmers abgewiesen.
Im Anschluss an die o.g. ständige Rechtsprechung des BAG hat das LAG darauf hingewiesen, dass die Vorlage einer als „Erstbescheinigung“ titulierten AU-Bescheinigung für den Beweis, dass ein erneuter 6-Wochen-Zeitraum vorliegt nicht ausreiche.
Vielmehr müsste der Arbeitnehmer für sämtliche Erkrankungen, die Diagnosen vortragen und seinen Arzt diesbezüglich von der ärztlichen Schweigepflicht entbinden. Da dies der Arbeitnehmer vorliegend beides nicht getan hat, verlor er den Prozess.
Auch die datenschutzrechtlichen Einwände des Arbeitnehmers haben das LAG nicht überzeugt. Zwar handele des sich bei den Gesundheitsdaten um besonders sensible personenbezogene Daten im Sinne von Art. 9 DSGVO, allerdings müsse dieser Schutz in dem vorliegende Gerichtsverfahren zurücktreten. Dies deswegen, weil nach der gesetzlichen Systematik von § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz der Arbeitnehmer darlegen und beweisen müsse, dass die Voraussetzungen für die Entgeltfortzahlung vorliegen. Diese Verpflichtung würde leerlaufen, wenn der Arbeitnehmer seine Diagnosen nicht offenbaren müsse.
In diesem Zusammenhang widerspricht das LAG auch dem Arbeitsgericht. Dem Arbeitgeber könne nicht die Pflicht auferlegt werden, Umstände vorzutragen, aus denen sich ergäbe, dass der 6-Wochen-Zeitraum bereits ausgeschöpft sei. Dies deswegen, weil einem Arbeitgeber solche Informationen typischerweise gar nicht vorliegen.

Der Praxistipp

Diese sehr arbeitgeberfreundliche Rechtsprechung kann man auch taktisch nutzen. In Fällen, in denen Sie sich von einer Arbeitnehmer trennen wollen, der ständig immer wieder krank ist und ständig neue Entgeltfortzahlungskosten erzeugt, sind Kündigungen häufig schwierig und risikoreich.
Wir haben in solchen Fällen dann die Entgeltfortzahlung eingestellt. Im Rahmen der sich anschließenden Zahlungsklage haben wir dann einvernehmlich das Arbeitsverhältnis aufgehoben.
Dies ist deswegen interessant, da man sich so nicht in der typischen Kündigung-Abfindung-Situation befindet und deswegen – wenn überhaupt – die Zahlung von günstigen Abfindungen verhandelt werden können.
Wenn Sie mit Arbeitnehmern ähnliche Probleme haben, kommen Sie gerne auf mich zu, wir beraten Sie gerne.

Weitere Informationen zum Thema Arbeitsrecht Hamburg erhält man auch unter https://scharf-und-wolter.de/fachanwalt-hamburg/fachanwalt-arbeitsrecht/ sowie unter Anwalt Hamburg

Nach dem Nachweisgesetz ist vor dem Hinweisgeberschutzgesetz – Neues Gesetz fordert Arbeitgeber erneut zum Handeln auf

Die meisten Arbeitgeber dürften sich zwischenzeitlich mit dem unliebsamen Thema Nachweisgesetz und der Verschärfung der Nachweispflichten entsprechend der seit 01.08.2022 geltenden Neufassung des Nachweisgesetzes auseinandergesetzt haben.
Nun steht jedoch bereits das nächste wichtige Gesetzgebungsverfahren in den Startlöchern, welches erneut, erheblichen Handlungsbedarf für die meisten Arbeitgeber mit sich bringen wird.

Worum geht es?

Die Bundesregierung hat am 27.07.2022 einen für die Praxis relevanten Gesetzesentwurf beschlossen, der einen besseren Hinweisgeberschutz / Schutz für Whistleblower ermöglichen soll („Entwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ – kurz: HinSchG-E).

Der Hintergrund

Der Entwurf dient der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Hinweisgeberschutzrichtlinie). Die Richtlinie hätte eigentlich bereits bis zum 17. Dezember 2021 in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen.
Zum Inhalt des Gesetzesentwurfs
Als Hinweisgeber („Whistleblower“) sollen im Sinne des HinSchG-E natürliche Personen geschützt werden, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Vorfeld einer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben und diese an die nach diesem Gesetz vorgesehenen Meldestellen melden oder offenlegen.
Der persönliche Anwendungsbereich des HinSchG-E ist entsprechend den Richtlinienvorgaben weit gefasst und umfasst alle Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben. Dies können neben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Beamtinnen und Beamten beispielsweise auch Selbstständige, Anteilseignerinnen und Anteilseigner oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Lieferanten sein.
Der sachliche Anwendungsbereich soll insbesondere alle Verstöße umfassen, die strafbewehrt sind, sowie bußgeldbewehrte Verstöße, soweit die verletzte Vorschrift dem Schutz von Leben, Leib, Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient.

Die wichtigsten Ziele des Gesetzesentwurfs sind
– Gesetzlicher Rechtschutz für alle hinweisgebenden Personen
– Vertrauensschutz durch diskrete Behandlung der Identität und der Meldung hinweisgebender Personen
– Verbot von ungerechtfertigten Benachteiligungen wie Kündigung, Abmahnung, Versagung einer Beförderung oder Mobbing. Zum Schutz von Hinweisgebern vor Repressalien enthält der Gesetzesentwurf in § 36 HinSchG-E eine Regelung zur Beweislastumkehr: Erleidet ein Hinweisgeber nach einer Meldung oder Offenlegung eine Benachteiligung im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit, so wird vermutet, dass diese Benachteiligung eine Repressalie ist. Gemäß § 37 HinSchG-E stehen dem Hinweisgeber bei einem Verstoß gegen das Repressalienverbot Schadensersatzansprüche zu.
– Einrichtung von internen und externen Meldestellen, an die sich die Hinweisgebenden wenden können, um Rechtsschutz erhalten zu können. Hinweisgebende können sich frei entscheiden, ob sie eine Meldung an die interne Meldestelle ihres Arbeitgebers abgeben oder die externe Meldestelle nutzen möchten.
– Vermeidung von Haftungsansprüchen und Imageschäden für Unternehmen und Behörden
Verstöße gegen die wesentlichen Vorgaben des HinSchG sollen als Ordnungswidrigkeiten mit einer Geldbuße geahndet werden können. Dies gilt beispielsweise für das Behindern von Meldungen, das Nicht-Einrichten oder Nichtbetreiben einer internen Meldestelle oder das Ergreifen von Repressalien, aber auch das wissentliche Offenlegen unrichtiger Informationen.
Warum ist das für mich als Arbeitgeber wichtig?
Alle Beschäftigungsgeber (=Arbeitgeber) mit einer Unternehmensgröße von mindestens 50 Beschäftigten müssen gem. § 12 HinSchG-E interne Meldestellen einrichten und betreiben.
Hierbei müssen Meldekanäle müssen so eingerichtet werden, dass Hinweise mündlich (per Telefon oder mittels einer anderen Art der Sprachübermittlung), in Textform und auf Wunsch des Hinweisgebenden auch persönlich möglich sind.

Den Eingang einer Meldung hat die Meldestelle dem Hinweisgeber spätestens nach sieben Tagen zu bestätigen. Innerhalb von drei Monaten nach der Bestätigung des Eingangs der Meldung ist dem Hinweisgeber eine Rückmeldung über die bereits erfolgten und die noch geplanten Maßnahmen zu geben.
Für kleinere Unternehmen mit einer Beschäftigtenzahl von mindestens 50 und weniger als 250 Beschäftigten wird insofern jedoch eine verlängerte Frist gewährt. In solchen, kleineren Unternehmen besteht die Pflicht zur Einrichtung einer internen Meldestelle erst ab 17.12.2023.
Auch können Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten mit anderen Unternehmen zusammen eine gemeinsame Meldestelle betreiben. Die Einrichtung von internen Meldestellen soll Arbeitgebern auch dadurch erleichtert werden, dass Dritte als interne Meldestellen beauftragt werden können oder diese innerhalb des Konzerns zentral bei der Konzernmutter angesiedelt werden können.

Was müssen Sie als Arbeitgeber tun?

Sie sollten zunächst prüfen, inwiefern Ihr Unternehmen, insbesondere was die Betriebsgröße angeht, unter den Anwendungsbereich des HinSchG-E fällt.
Wenn der Anwendungsbereich des HinSchG-E eröffnet ist, sollten Sie prüfen, ob die Verpflichtung zur Errichtung einer internen Meldestelle aufgrund Ihrer Betriebsgröße bereits ab dem ersten Geltungstag des Gesetzes oder (bei Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten) erst zum 17.12.2023 greift.
Grundsätzlich ist allen Arbeitgebern zu raten, die Einrichtung und das Betreiben der internen Meldestelle (internes Meldesystem) rechtzeitig zu planen, vorzubereiten und einzuleiten, da anderenfalls Bußgelder bis zu € 100.000,00 drohen.
Hierbei können Sie auch in Erwägung ziehen, ob ein (externer) Dritter mit den Aufgaben einer internen Meldestelle betraut werden soll (vgl. § 14 I HinSchG-E).
Die Betrauung eines Dritten mit den Aufgaben einer internen Meldestelle entbindet Sie als Arbeitgeber jedoch nicht von der Pflicht, selbst geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um einen etwaigen Verstoß abzustellen.

Ab wann gilt das neue Hinweisgeberschutzgesetz?

Der am 27.07.2022 vom Bundeskabinett beschlossene Regierungsentwurf ist zunächst dem Bundesrat zur Stellungnahme zugeleitet worden und wird anschließend an den Bundestag weitergeleitet und dort beraten werden.
Vor dem Hintergrund, dass die Umsetzungsfrist der zugrundliegenden EU-Richtline bereits am 17.12.2021 abgelaufen ist, ist mit einem zügigen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens zu rechnen.
Da das Gesetz laut Art. 10 des Gesetzesentwurfs drei Monate nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten wird, steht zu erwarten, dass das Gesetz zu Beginn des Jahres 2023 in Kraft treten wird.

Weitere Informationen zum Thema Arbeitsrecht Hamburg erhält man auch unter https://scharf-und-wolter.de/fachanwalt-hamburg/fachanwalt-arbeitsrecht/ sowie unter Anwalt Hamburg

Aufhebungsverträge: Muss vor Abschluss eines Aufhebungsvertrags Bedenkzeit eingeräumt werden? Das Gebot fairen Verhandelns – Aktuelle Urteile für die Praxis – Teil 2

Mit der in Fall 1 geschilderten Rechtsprechung des BAG und der Frage, ob dem Arbeitnehmer vor Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrages eine Bedenkzeit eingeräumt werden muss, setzt sich das ArbG Heilbronn in einer aktuellen Entscheidung kritisch auseinander.

Fall 2 (ArbG Heilbronn, Urteil vom 18.05.2022, 2 Ca 60/22)

Der im Jahre 1966 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit 1985 als Mitarbeiter mit dem Trennen von Kabeln beschäftigt. Der Kläger besuchte lediglich die Sonderschule. Eine Ausbildung konnte er nicht abschließen. Auch besitzt er keinen Führerschein. Der Intelligenzquotient des Klägers ist weit unterdurchschnittlich.
Im Rahmen eines Personalgesprächs am 18.02.2022 wurden dem Kläger zwei Schriftstücke, eine durch die Arbeitgeberin bereits unterschriebene Abmahnung datierend auf den 15.02.2022 und ein durch die Arbeitgeberin ebenfalls schon unterschriebene Aufhebungsvertrag datierend auf den 18.02.2022, ausgehändigt. Zum Ende des Personalgesprächs übergab die Beklagte dem Kläger einen Kugelschreiber, woraufhin der Kläger die Empfangsbestätigung betreffend der streitgegenständlichen Abmahnung und den Aufhebungsvertrag vom 18.02.2022 zum 31.05.2022 unterzeichnete. Das Datum des Aufhebungsvertrages stammte nicht vom Kläger. Zuvor las der Kläger die Schriftstücke nicht durch.

Noch am selben Tag erklärte der Kläger seiner Schwester, welche im gleichen Haus wohnt, dass er eine Kündigung erhalten habe. Die Schwester stellte nach Durchsicht der Unterlagen fest, dass der Kläger keine Kündigung erhalten, sondern einen Aufhebungsvertrag unterschrieben hatte. Daraufhin vereinbarte die Schwester einen Anwaltstermin für den 24.02.2022.
Der anwaltlich vertretene Kläger greift den Aufhebungsvertrag deshalb mit der am 01.03.2022 beim Arbeitsgericht Heilbronn eingegangenen Klage an und vertritt die Ansicht, die Beklagte habe seine mangelnden intellektuellen Fähigkeiten willentlich und wissentlich ausgenutzt, um ihm zu verstehen zu geben, dass es sich vorliegend nicht um einen Aufhebungsvertrag, sondern eine Kündigung handele. Er sei davon ausgegangen, dass man ihn wegen des Fehlens an zwei Tagen abmahnen wollte und man ihm gleichzeitig eine Kündigung ausgehändigt habe. Mit dieser Vorgehensweise habe die Beklagte gegen das Gebot des fairen Verhandelns verstoßen.

Die Entscheidung zu Fall 2

Das ArbG Heilbronn hat den Fortbestand des Arbeitsverhältnisse und die Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages festgestellt. Die Berufung wurde gesondert zugelassen.
Das Zustandekommen des Aufhebungsvertrages vom 18.02.2022 verstoße gegen das vom Bundesarbeitsgericht entwickelte Gebot des fairen Verhandelns. Entgegen der Ansicht des BAG im oben dargestellten Fall 1 könne der Arbeitgeber in besonderen Fallkonstellationen gehalten sein, dem Arbeitnehmer nach der Unterbreitung eines Aufhebungsvertrages eine Bedenkzeit einzuräumen, um nicht gegen das Gebot des fairen Verhandelns zu verstoßen.

Neben den vom BAG aufgestellten Kriterien sei nach Ansicht der Kammer insbesondere auch zu berücksichtigen, ob die Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag durch ein vermeintliches Fehlverhalten des Arbeitnehmers ausgelöst worden sind und ob ein solches Verhalten zumindest ansatzweise eine Kündigung hätte rechtfertigen können. Mit der Einräumung einer Bedenkzeit korreliere zudem auch eine entsprechende Hinweispflicht des Arbeitgebers. Weiterhin sei die Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers, die Dauer eines störungsfreien Verlaufs des Arbeitsverhältnisses sowie die psychische und körperliche Konstitution des Arbeitnehmers zu beachten. Bei Beachtung dieser Kriterien kann es nach Ansicht der Kammer dem Arbeitgeber in Ausnahmefällen zugemutet werden, den Arbeitnehmer darauf hinzuweisen, dass man ihm bezüglich des Abschlusses des Aufhebungsvertrages eine gewisse Bedenkzeit einräume, um nicht gegen das Gebot des fairen Verhandelns zu verstoßen.
Das Gericht ist der Überzeugung, dass die Beklagte vorliegend die intellektuelle Schwäche des Klägers ausgenutzt habe, um zum Abschluss des Aufhebungsvertrages zu gelangen. Dabei sei es auch nicht entscheidungserheblich, ob der Kläger intellektuell in der Lage gewesen ist, den Sinn der streitgegenständlichen Aufhebungsvereinbarung zu erfassen. Die den Abschluss des Aufhebungsvertrages begleitenden Umstände, die Sozialdaten des Klägers und seine psychische Konstitution führten vielmehr dazu, dass die Beklagte in der vorliegenden Konstellation den Kläger zumindest hätte darauf hinweisen müssen, dass er berechtigt ist, den Abschluss des Aufhebungsvertrages außerhalb der Räumlichkeiten der Beklagten für eine gewisse Zeit nochmals zu überdenken. Dies hätte dem Kläger auch die Möglichkeit eröffnet, ihm nahestehende Außenstehende bezüglich des Entwurfs und seiner Unterzeichnung um Hilfe zu bitten. Dabei habe die Kammer zuvorderst die psychische Konstitution des Klägers berücksichtigt. Zwischen den Parteien des Rechtsstreits sei unstreitig, dass der Kläger lediglich die Sonderschule besucht habe, eine Ausbildung nicht abschließen konnte und einen weit unterdurchschnittlichen Intelligenzquotienten aufweise.

Des Weiteren hat das Gericht auch die Begleitumstände des Zustandekommens des streitgegenständlichen Aufhebungsvertrags berücksichtigt. In besonderem Maße wirke sich dabei für die Beklagte negativ aus, dass dem Kläger zusammen mit dem bereits unterschriebenen Aufhebungsvertrag eine Abmahnung übergeben wurde, deren Empfang der Kläger durch seine Unterschrift bestätigte. Damit hat die Beklagte durch die Abmahnung der gerügten Vorfälle signalisiert, dass sie diese nicht mehr für kündigungsrechtlich relevant halte. Das Gericht könne nicht nachvollziehen, warum sie dem Kläger gemeinsam mit der Abmahnung den Aufhebungsvertrag, welcher die Kündigungsfrist des Klägers zudem noch um vier Monate verkürzt, ausgehändigt hat. Hätte die Beklagte die Vorfälle für kündigungsrechtlich relevant gehalten, wäre das Angebot eines Aufhebungsvertrages, ohne die Aushändigung einer Abmahnung, oder der Ausspruch einer Kündigung die logische Folge gewesen. Das gewählte Verhalten deute auf ein bewusstes Ausnutzen der fehlenden intellektuellen Fähigkeiten des Klägers hin.

Berücksichtigt hat das Arbeitsgericht zuletzt auch, dass der Kläger bereits seit 1985 bei der Beklagten beschäftigt ist und somit zum Zeitpunkt des Aufhebungsvertrages eine ununterbrochene Betriebszugehörigkeit von 36,5 Jahren aufweisen konnte. Abgesehen von den abgemahnten Vorfällen seien auch keine weiteren Belastungen des Arbeitsverhältnisses bekannt.
Unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte hätte die Beklagte den Kläger auf eine gewisse Bedenkzeit hinweisen müssen, um das Gebot des fairen Verhandelns zu wahren. Der Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhandelns führe vorliegend zu einer Rechtsunwirksamkeit des Aufhebungsvertrages und damit zu einer Fortsetzung des ursprünglichen Arbeitsvertrages zu unveränderten Bedingungen.

Das Wichtigste

Die Drohung mit einer (außerordentlichen) Kündigung ist immer dann widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Nicht erforderlich ist allerdings, dass die angedrohte Kündigung, wenn sie erklärt worden wäre, sich in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiesen hätte.
Die Drohung mit einer Strafanzeige ist rechtmäßig, wenn sie nur dazu dient, den Täter zur Wiedergutmachung des Schadens zu veranlassen. Eine solche Drohung ist nicht widerrechtlich, da das Mittel, also das angedrohte Verhalten und der Zweck, die Schadenswiedergutmachung, nicht, auch nicht in der Mittel-Zweck-Relation, widerrechtlich sind. Auch hier ist darauf abzustellen, ob ein verständiger Arbeitgeber die Erstattung einer Strafanzeige ernsthaft in Erwägung gezogen hätte.

Das Gebot fairen Verhandelns ist eine durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründete Nebenpflicht. Im Ergebnis schützt das Gebot fairen Verhandelns nicht den Inhalt des Vertrags, sondern den Weg zum Vertragsschluss und unterscheidet sich dadurch von der Sittenwidrigkeitskontrolle des § 138 BGB.
Eine Verhandlungssituation ist erst dann als unfair zu bewerten, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht. Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist stets anhand der Gesamtumstände der konkreten Verhandlungssituation im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden.
Als Arbeitgeber verhandeln Sie grundsätzlich nicht bereits deswegen unfair, weil Sie den von Ihnen angebotenen Aufhebungsvertrag nur zur sofortigen Annahme unterbreiten und der Arbeitnehmer diesen nur sofort annehmen kann (so das BAG in Fall 1).

In besonderen Fallkonstellationen können Sie als Arbeitgeber jedoch gehalten sein, dem Arbeitnehmer nach der Unterbreitung eines Aufhebungsvertrages eine Bedenkzeit einzuräumen, um nicht gegen das Gebot des fairen Verhandelns zu verstoßen. Mit der Einräumung einer solchen Bedenkzeit gehe auch eine entsprechende arbeitgeberseitige Hinweispflicht einher. Dies gelte insbesondere bei erkennbaren psychischen Schwächen des Arbeitnehmers (so das ArbG Heilbronn in Fall 2).

Zusammenfassung

Die vorgestellten Fälle zeigen anschaulich, welch unterschiedliche Fallkonstellationen in der Fallgruppe „Gebot fairen Verhandelns“ diskutiert werden.
Die Entscheidungen zeigen ebenfalls deutlich, dass die Berufung auf einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns kein grenzenloses Allheilmittel für Arbeitnehmer, die den Abschluss eines Aufhebungsvertrages bereuen, ist.
Unabhängig davon enthält auch die lediglich auf den ersten Blick (aus Arbeitgebersicht) negative Entscheidung im Fall 2 viele nützliche Hinweise für Arbeitgeber und Personaler zum Verhalten im Vorfeld von Aufhebungsverträgen.

Weitere Informationen zum Thema Arbeitsrecht Hamburg erhält man auch unter https://scharf-und-wolter.de/fachanwalt-hamburg/fachanwalt-arbeitsrecht/ sowie unter Anwalt Hamburg

Aufhebungsverträge: Muss vor Abschluss eines Aufhebungsvertrags Bedenkzeit eingeräumt werden? Das Gebot fairen Verhandelns – Aktuelle Urteile für die Praxis – Teil 1

Bekanntlich ist es in der Praxis nur in Ausnahmekonstellationen (insbesondere Anfechtung) möglich die Rechtswirkung eines Aufhebungsvertrages zu beseitigen.
In der jüngeren Vergangenheit berufen sich Arbeitnehmervertreter jedoch verstärkt auf Verstöße gegen das Gebot fairen Verhandelns, um die Rechtswirkung eines unliebsamen Aufhebungsvertrages zu beseitigen.
Wir stellen Ihnen dieses Rechtsinstitut heute näher vor, berichten über zwei aktuelle, praxisrelevante Urteile und geben Ihnen wichtige Hinweise für die Praxis.

Der rechtliche Hintergrund

Das Gebot fairen Verhandelns ist gemäß der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) eine im Zusammenhang mit der Verhandlung eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrages durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründete Nebenpflicht.
Bei Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrages kann eine Seite gegen diese Nebenpflicht verstoßen, wenn sie eine Verhandlungssituation herbeiführt oder ausnutzt, die eine unfaire Behandlung des Vertragspartners darstellt. Eine Verhandlungssituation ist nach der Rechtsprechung immer dann als unfair zu bewerten, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht. Dies könne durch die Schaffung besonders unangenehmer Rahmenbedingungen, die erheblich ablenken oder sogar den Fluchtinstinkt wecken, geschehen. Denkbar sei auch das Ausnutzen einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse.
Fall 1 (BAG, Urteil vom 24. Februar 2022 – 6 AZR 333/21)

Der Geschäftsführer und der Anwalt des Arbeitgebers führten am 22.09.2019 im Büro der Geschäftsführung ein Personalgespräch mit einer Mitarbeiterin. Sie erhoben gegenüber der Mitarbeiterin den Vorwurf, sie habe unberechtigt Einkaufspreise in der EDV der Beklagten abgeändert bzw. reduziert, um so einen höheren Verkaufsgewinn vorzuspiegeln. Die Mitarbeiterin unterzeichnete nach einer etwa zehnminütigen Pause, in der die drei anwesenden Personen schweigend am Tisch saßen, den vom Arbeitgeber vorbereiteten Aufhebungsvertrag. Dieser sah u.a. eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.09.2019 vor.
Mit ihrer Klage hat die Arbeitnehmerin u.a. den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 30.09.2019 hinaus geltend gemacht. Sie hat behauptet, ihr sei für den Fall der Nichtunterzeichnung des Aufhebungsvertrages eine fristlose Kündigung sowie die Erstattung einer Strafanzeige in Aussicht gestellt worden. Ihrer Bitte, eine längere Bedenkzeit zu erhalten und Rechtsrat einholen zu können, sei nicht entsprochen worden. Damit habe der Arbeitgeber gegen das Gebot fairen Verhandelns verstoßen.

Die Entscheidung zu Fall 1

Das BAG hat zugunsten der Arbeitgeberseite entschieden und den Aufhebungsvertrag für wirksam erachtet. Ein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns liege nicht vor.
So fehle es an der Widerrechtlichkeit der behaupteten Drohung; ein verständiger Arbeitgeber habe in der vorliegenden Konstellation sowohl die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung als auch die Erstattung einer Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen dürfen.
Die Entscheidungsfreiheit der Arbeitnehmerin sei auch nicht dadurch verletzt, dass der Arbeitgeber den Aufhebungsvertrag nur zur sofortigen Annahme unterbreitet hat ( § 147 Abs. 1 BGB) und die Mitarbeiterin über die Annahme deswegen sofort entscheiden musste.

Die Arbeitgeberin habe keine Situation geschaffen oder ausgenutzt, derer sich die Mitarbeiterin nur durch Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages entziehen konnte. Sie hätte vielmehr ohne Beeinträchtigung ihrer Willensfreiheit das Gespräch auch beenden und den Raum verlassen können. Dass dann der Abschluss des Aufhebungsvertrages ausgeschlossen gewesen wäre, ist gesetzliche Folge des § 147 Abs. 1 BGB. Der dadurch auf die Arbeitnehmerin aufgebaute Druck sei nicht unfair, sondern halte sich im Rahmen des Zulässigen.
Die Fortsetzung folgt sogleich in Teil 2

Weitere Informationen zum Thema Arbeitsrecht Hamburg erhält man auch unter https://scharf-und-wolter.de/fachanwalt-hamburg/fachanwalt-arbeitsrecht/ sowie unter Anwalt Hamburg